Zeit und Zukunft im NLP

Zeit und Zukunft im NLP

Wenn wir von Zeit und Zukunft im NLP sprechen (oder von Selbstentwurf im Sinne einer Zukunftsplanung), dann haben wir immer schon ein bestimmtes Vorverständnis von Zeit und ihren Modi (Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft). Dieses Vorverständnis wird unser jeweiliges Konzept beeinflußen. Aus diesem Grunde möchte ich hier auf einige grundlegende Probleme des Zeit- Zukunftsbegriffs eingehen.

Neben dem Buch TIME LINE von Tad James und Wyatt Woodsmall gibt es bis jetzt nur noch ein weiteres Buch im NLP, das sich ausschließlich mit dem Konzept der Zeitlinien auseinandersetzt: “Time Lining” von Bob G. Bodenhamer und L. Michael Hall. Sie beginnen mit einer inhaltlichen Klärung des Begriffs Zeit. Ausgehend von dem berühmten Zitat Augustinus kommen sie zu folgendem Schluß: “Part of Augustine`s difficulty here arose from his use of language about “time” – rather than the referent itself. Augustine knew that events change, but he then confused, or didn’t know, the level at which our terme “time” operates on. He seemed to confuse levels. On the primary sensory-based, empirical level, events change. But on a conceptual level, a level meta to the primary level, we measure, mark, and relate the changingness of events by our term “time”. (S.9)

In bester NLP-Tradition weisen sie darauf hin, daß ZEIT meistens als Substantiv, also als Nominalisierung genutzt wird. Dies führt dann zu all den semantischen Fehlreaktionen, die durch die Verdinglichung eines Prozesses zu erwarten sind.

Formulierungen wie:

• ich habe keine Zeit.

• die Zeit ist knapp.

• Zeit ist Geld. usw.

behandeln Zeit wie ein Ding, ein Objekt. Die Zeitform von Zeit oder das Verb wird so gut wie nicht benutzt. Bei Heidegger finden wir das Wort “zeitigen”, auf das wir an anderer Stelle noch zu sprechen kommen werden. Desweiteren bleibt festzustellen, das wir die Zeit weder sehen, noch hören, schmecken, riechen oder fühlen können. Oder anders gesagt: “Zeit” hat keinen externen Referenten auf den es sich bezieht, den es bezeichnet.

“We do not perceive time directly. We cannot taste it like sugar or smell it as we smell some gases. The only thing we are awre of is that things change, that it is getting later. This is our nearest approach to a person perception of time.” (M. Stuart in The Psychology of Time, zitiert nach Bodenhamer und Hall, S.17)

Was wir haben ist zum einen das äußere Ereignis und zum anderen unser mentaler Prozeß, mit dem wir uns auf die Beziehungen zwischen Ereignissen beziehen. Von Korzybskis Ansatz, der General-Semantics, aus betrachtet ist “Zeit” ein multiordinales Wort. Korzybski versteht darunter ein Wort, das so generalisiert wurde, daß es auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus gleichzeitig funktioniert. Auf jeder dieser Abstraktionsebenen trägt das Wort dann unterschiedliche Bedeutung und hat unterschiedliche Assoziationen.

Es ist also bei der Nutzung solcher Worte eine besondere Vorsicht angebracht, daß man die verschiedenen Ebenen nicht verwechselt und so zu semantisch sinnlosen oder verwirrenden Konstruktionen kommt. So ist z.B. die physikalische “Zeit” (verschiedene Rhythmen) von der psychologischen “Zeit” zu unterscheiden. Von letzterer kann man sinnvollerweise sagen, daß sie schneller bzw. langsamer läuft; dies ist bei der physikalischen “Zeit” ein sinnloser Ausdruck. Spricht mann allerdings von extrem beschleunigten Systemen, wie in der Relativitätstheorie, dann kann man auch hier von schneller bzw. langsamer vergehender Zeit sprechen. Allerdings ist dieses “langsamer/schneller” ein anderes als das psychologische “langsamer/schneller”.

An diesen Beispielen wird deutlich, was es bedeutet den Ausdruck “Zeit” multiordinal zu benutzen. “Zeit” als ein Konzept, ein Begriff über Ereignisse und ihre Ordnung, sowie “Zeit” als Konzept über Konzepte, als Begriff, der begriffliche Strukturen benennt. Wenn wir diese unterschiedlichen Abstraktionsebenen nicht auseinanderhalten, dann kommen wir mit der Unterscheidung von Karte und Territorium ständig durcheinander und brauchen uns nicht zu wundern, wenn wir vor “Rätseln” stehen.

Korzybski bezeichnete die Menschen als “time binder”. Damit bezog er sich auf unsere Fähigkeit, Erkenntnisse von einer Generation zur anderen weiter zu geben. Wir nutzen die Erfahrungen der “Lebenszeit” früherer Generationen durch unsere Fähigkeit zur Symbolisierung dieser Erfahrungen in der Sprache. Darüberhinaus bewegen wir uns täglich in der “Zeit” vorwärts und rückwärts. Wir erinnern uns und machen Pläne für die Zukunft. Insofern sind wir auch eine Lebensform, die nicht nur die Zeit bindet, sondern auch eine, die durch die “Zeit” reist.

Diese Fähigkeit macht uns manchmal Probleme, wenn wir den klaren Fokus für das hier und jetzt verlieren. So sind manche Menschen so von vergangenen Ereignissen besessen, daß sie nicht mehr realisieren, daß ihre Gegenwart anders ist als ihre Vergangenheit. Andere wiederum sind soviel mit ihren Gedanken in der Zukunft, um sich entweder Sorgen zu machen oder sich großartigen Träumen hinzugeben, daß sie ganz vergessen, daß das Leben nur in der Gegenwart gestaltet werden kann.

Allerdings kann eine ausschließliche Fokusierung auf das hier und jetzt auch Probleme mit sich bringen. Namentlich in Regionen, in denen es im Winter sehr kalt wird. Winter fordert von uns immer Planung für die Zeiten, in denen es weniger zu jagen und sammeln gibt.

Beide Formen sind Ausdruck einer wenig angemessenen Repräsentation von Vergangenheit und Zukunft. Und die Arbeit mit der Time Line eines anderen sollte auch dieses mitberücksichtigen. Eine andere Frage ist, ob eine direkte Veränderung der “Zeitkodierung” immer möglich ist, oder ob vorher traumatische Erfahrungen oder systemische Verstrickungen bearbeitet werden müssen.

Diese besondere Seinsweise der Zeit hat bereits Immanuel Kant beschrieben. Für ihn ist Zeit eine Kategorie a priori. Was soviel bedeutet, wie ein Konzept ein Begriff vor aller Erfahrung, da diese Kategorie notwendig ist um überhaupt von Erfahrung in unserem Sinne sprechen zu können. Zeit existiert in dieser Auffassung nur als eine konzeptuelle, begriffliche Realität, als unser Verständnis der Beziehung der Ereignisse in ihrer Aufeinanderfolge.

Wenn wir das Wort “time” im Englischen in die Verbform überführen, kommen wir zum Wort “timing”. Damit ist das Zeitnehmen bzw. das Zeitmessen gemeint. Z.B. stoppen wir die “Zeit”, die jemand braucht, um 100m zu laufen. Genaugenommen vergleichen wir zwei Ereignisse: Die Umdrehung der Erde und den Lauf. Wir sagen, daß die Erde sich um soundsoviel weiter gedreht hat, während sich jemand von A nach B bewegt hat.

Bodenhammer und Hall empfehlen uns also die Kant’sche Position, Zeit als ein rein subjektives Phänomen zu betrachten, als eine, die zu den Vorannahmen des NLP am besten paßt:

“‘Time’ does not exist in that dimension of reality, it rather exists in the realm of ‘mind’. It refers to a conceptual way of making out a process as events transpire and between events that occur.” (S. 17)

Im NLP wird der Begriff Zeit entnominalisiert, um von hier aus zu fragen, wie genau wir dieses mentale Konstrukt aufbauen.

• Wie kodieren wir das Konzept “Zeit” in unserem Geist und in unserem Körper?

• Wie repräsentieren andere Menschen “Zeit”?

• Nutzen Menschen ähnliche Muster, um “Zeit” zu kodieren?

• Welche Unterschiede können wir bezüglich der Zeitkodierung finden?

•Kodieren wir die Unterschiede zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft manchmal so, daß uns daraus ein Nachteil erwächst?

• Wie können wir unsere “Zeitrepräsentation” ändern?

• Ist unsere Art “Zeit” zu kodieren, durch unsere Erbanlagen und/ oder unsere Erfahrungen determiniert?

• Werden wir durch unsere Geburt in einen kulturellen Kontext zu einer bestimmten Zeitrepräsentation “gezwungen”?

• Inwieweit bestimmen unsere Erfahrungen unsere “Zeitrepräsentation”?

• Können wir die “Vergangenheit” ändern?

• Welchen Einfluß hat unsere Art der “Zeitkodierung” auf unsere Persönlichkeit?

• Welchen Einfluß hat “Zeit” und unsere Repräsentationen auf unsere Emotionen?

• Vergangene Ereignisse beeinflußen unseren gegenwärtigen Zustand, aber wie stark genau?

• Was müssen wir tun, um unsere Erinnerungen an die Vergangenheit zu transformieren?

Bodenhamer und Hall verstehen die Position Kants offensichtlich als eine, die mit den Vorannahmen des NLP gut verträglich ist und legen sie uns nahe. Ich möchte hier explizit die gegenposition vertreten: Die Kantsche Position verbleibt in einer metaphysischen Grundposition bezüglich Subjekt und Objekt, Mensch und Welt und ist für eine psychotherapeutische Arbeitsweise, die sich mit leibhafter Subjektivität von Hause aus beschäftigt gänzlich ungeeignet. Ich werde daher die Kantsche Position und die Heideggersche Kritik sowie transklassische Konzepte der Zeit ansatzweise vorstellen, so daß der interessierte Leser einen Eindruck davon bekommt, mit welchen Dimensionen wir es zu tun haben, wenn wir das Zeitproblem in seiner ganzen Komplexität zur Kenntnis nehmen. Dies nicht, weil wir ein Bedürfnis verspüren NLP mit einigen philosophioschen Anteilen aufzuwerten, sondern weil das Zeitigen der Zeit geradezu als Index für das Wesen der Subjektivität betrachtet werden kann. Die Kant’sche Position zum Thema Zeit ist spätestens seit Heideggers Kritik an Kant und dann später durch die Arbeiten Gotthard Günthers alles andere als die einzig sinnvolle Antwort auf die uralte Frage nach dem Wesen der Zeit. Es scheint daher angebracht hier die wesentliche Schritte dieser Kritik nachzuzeichnen um so in den Bereich zu kommen, in dem eine Diskussion um einen angemessenen Zeitbegriff sich bewegen muß, die den Anspruch hat den geggenwärtigen Diskussionsstand angemessen zu berücksichtigen. Dabei ist Heidegger für Psychotherapeuten in sofern von besonderer Wichtigkeit, als er derjenigen ist, der das Zeitphänomen aus einer phänomenologischen Analyse des Daseins heraus entwickelt, also aus dem Bereich menschlicher Existenz.

Heidegger beginnt mit dem alltäglichen Zeitverständnis und dessen Mannigfaltigkeit von Zeitcharakteren: früher, später, vorher, nunmehr, nachher, schon, noch nicht, zugleich, soeben, sofort, jetzt, Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft.

Diese Zeitbestimmungen gehen von einer Auffassung der Zeit als Jetzt-Zeit aus. Damit ist gemeint, daß die Vergangenheit vorbei ist und die Zukunft noch nicht ist, also die Zeit ist nur im Jetzt. Warum die Zeit zunächst als Jetzt-Zeit erfahren wird, muß allerdings erst noch verstanden werden und kann nicht einfach als selbstverständlich hingenommen werden. Was so im Durchgang durch ein Jetzt ist, ist “in-der-Zeit” (im umgangssprachlichen nicht im NLP Sinne von In-Time). Alles was in der Zeit begegnet ist also jetzt oder nicht mehr jetzt oder noch nicht jetzt.

Von hier aus stellt Heidegger eine einfache Frage: “Ist nun in diesem Sinne Sorge zeitbestimmt?” Sorge meint bei Heidegger das Schon-sein-bei, das sich-selbst-immer-schonvorweg-sein, das zukunftsoffene Verhalten des Menschen. »Schon« kann in diesem Sinne verstanden, also nicht soviel wie »schon gewesen« bedeuten. Es kann aber auch nicht bedeuten »schon vorher«. Schon vorher – in Bezug worauf? Dieses Schon bezieht sich also nicht auf ein Seiendes, das »in die Zeit fällt« und sich in seinem jetzt in seinem früher oder später bestimmen läßt. Sorge ist also in diesem Sinne nicht zeitbestimmt. Sorge als Sein des Daseins ist also kein Seiendes im Sinne eines Vorhandenen. In welchem Sinne ist dieses »schon« bzw. das »vor« im “sichvor-weg-sein”, dann eine Zeitbestimmung? Diese Mehrdeutigkeit des Zeitbegriffs finden wir auch bei Korzybski.

Wie kommt nun Kant und seine Nachfolger (z.B. Bob G. Bodenhamer und L. Michael Hall.) darauf Zeit zu einer Form der subjektiven Anschaung zu erklären?

Diese Frage läßt sich sehr leicht beantworten. Da es in der Welt nichts gibt, was wir als Zeit wahrnehmen könnten, wir sehen nur Veränderungen, aber keine Zeit, muß Zeit etwas subjektives sein.

“So this ‘mind’-thing of ‘time’ refers to how we think abaut, represent, and code movement and changes of our experiences of events and between events. To denominalize this noun (‘time’), I like to use the word in verb form, time-ing.” (Bodenhammer, Hall, S.18)

Dieser Schluß ist rein logisch nur dann zwingend, wenn es als ausgemacht gelten kann, daß man die Welt sinnvollerweise nur in einen objektiven und in einen subjektiven Bereich einteilen kann und das etwas, “was es gibt” entweder in dem einen oder im anderen zu finden sein muß.

Die Zeit ist also durch einen indirekten Beweis zu ihrer subjektiven Existenzweise gekommen. da sie nicht objektiv ist, muß sie subjektiv sein.

Schauen wir uns diesen Argumentationsgang bei Kant etwas genauer an.

Kant bezeichnet die Zeit als “ursprüngliche Vorstellung”. Vorstellung bedeutet Vorstellen von etwas. Soll hier die Zeit als etwas vorgestellt werden oder ist gemeint alles Vorgestellte ist als Vorgestelltes nur in der Zeit vorstellbar? Niemand kann sich die Zeit als “Etwas” vorstellen. Zeit ist also das “worinnen” sich Empfindungen ordnen – die Form der Anschauung. Für Kant ist die Zeit (und übrigens auch der Raum) etwas, daß in jeder Erfahrung immer schon notwendigerweise mitgegeben ist. Dies ist die Bedeutung des a priori (vor jeder Erfahrung). Und für die philosophische Tradition ist dies gleichbedeutend mit subjektiv. Diese Argumentation würde dann natürlich automatisch auch den Raum zu etwas subjektiven machen, was bisher allerdings keiner behauptet hat.

Alles Anschauen, alles Erleben ist notwenidig bezogen auf ein Ich, welches anschaut und erlebt. Dieses “Ich denke” muß also notwenidig jedes Anschauen und erleben begleiten können. »Ich« besagt also das »für« für das etwas gegeben sein kann. Ich kann also selbst kein Objekt sein, daß erfaßt werden kann. Erfassen des Ich heißt: Erfassen des Ich denke, d.h. Erfassen des Wofür, oder: Ich als Erfassendes vollziehe das Ich denke. Kant versucht das “Ich denke” zu verstehen mit Hilfe von Seinsbestimmungen, also analog zu anderem Seienden. Dies ist allerdings dem Gegenstand unangemessen, da das Ich nicht sinnvoll als Gegenstand von sich selbst themaisiert werden kann.

Da für Kant alle Vorstellungen in-der-Zeit ablaufen kann er auch das Vorgestellte als in-der-Zeit ablaufend fassen. Inwiefern ist dieser Schluß gerechtfertigt? Was hätte es für Konsequenzen, wenn er es nicht wäre? Wäre der Schluß nicht zuläßig könnte Kant nicht mehr erklären, wie wir überhaupt im Äußeren sinnvollerweise Zeitbestimmungen (vorher, nachher, jetzt) auf Gegebenheiten anwenden können. Wenn wir sagen, daß Monika nach Peter ins Zimmer kam, dann meinen wir nicht nur, daß wir erst das subjektive Erleben hatten, daß Peter ins Zimmer kommt und dann Monika, sondern wir meinen primär, daß die beiden Personen in dieser Reihenfolge ins Zimmer kamen und zwar unabhängig von unserer Wahrnehmung davon. Anderfalls würde es keinen Sinn machen davon zu sprechen, daß wir uns bezüglich der Reihenfolge geirrt haben könnten. Da für Kant das unmittelbar Gegebene das Vorstellen ist kommt er nur von hier aus zum Vorgestellten. Diese cartesianische Vorannahme hindert ihn daran zu sehen, daß Umwelt und Welt ebenso unmittelbar, ja noch unmittelbarer gegeben sind als die Vorstellung. In dieser Umwelt erfahren wir das Nacheinander z.B. am Wechsel von Tag und Nacht.

Das reine Anschauen, bzw. das subjektive Erleben als subjektives Erleben ist ein ständiger Wechsel von Erlebnissen in einem ununterbrochenen Nacheinander. Die Bedingung der Möglichkeit des Erlebens ist eben gerade dieses Nacheinander – die Zeit. Die Grundart, in der uns etwas begegnen kann, in der uns etwas gegeben sein kann ist die Zeit. “Zeit ist als das Wie des Sichgebenlassens überhaupt die ursprünglichste und universale Form der Gebbarkeit, die ursprüngliche Selbstaffektion, das Sichselbstangehen des Selbst als der seinsmäßigen Bedingung der Möglichkeit eines Begegnens von etwas.” … “Zeit ist nach Kant die ursprüngliche, universale reine Selbstaffektion.” (Heidegger, Bd. 21, S.339)

Zeit meint aber nicht nur diese reine Anschauung sondern zugleich auch das Ganze der Maniigfaltigkeit des Nacheinander. Diese Doppelbestimmung gilt es im Auge zu behalten.

“Zeit ist das, das reines Anschauen sich geben läßt, und ist das hierbei Angeschaute selbst; es ist also kein Gegenstand anwesend.” (Heidegger, Bd. 21, S.340)

Wie ist nun der Zusammenahng von Zeit und “Ich denke” zu denken? Zeit und Ich haben etwas wesentlich gemeinsam: Zeit ist nicht selbst wahrnehmbar als empirischer Gegensatnd und das Ich ist kein Objekt, welches durch Prädikate bestimmbar wäre. Beide sind als Bedingung der Möglichkeit von subjektiven Erleben überhaupt zu verstehen. Aber wie ist das Verhältnis beider zufassen? Ist die Zeit ein Modus des Ich denke oder das Ich denke ein Modus der Zeit? Oder wurzeln beide in einem noch ursprünglicherem Zusammenhang? Wenn ich sage, daß das “Ich denke” “in der Zeit” abläuft, dann stellt sich die Frage, wie das, was in der Zeit abläuft die Zeit zustandebringen soll.

Betrachten wir das innere Erleben etwas genauer, dann stellen wir fest, daß wir, wenn wir mit dem inneren Erleben voll assoziiert sind, Zeit als nacheinander gar nicht erleben. Wir erleben nur den puren Wandel der Erlebnisinhalte. Um das Kommen und Gehen, das Verschwinden und Auftauchen, das Erinnern und Erwarten wahrnehmen zu können, müßen wir uns vom unmittelabren Erleben dissoziieren. Durch dieses Dissoziieren wird es erst möglich jetzt zu sagen. Wollen wir dieses Jetzt aber inhaltlich bestimmen, dann müßen wir automatisch zu “jetzt,da das und das ist” übergehen. Jetzt ist immer, ob explizit oder implizit ein Bestimmen des Jetzt in Hinblick auf ein etwas, das vorhanden ist. Damit ist das jetzt schon nicht mehr völlig subjektiv. Diese Verbindung zu etwas Vorhandenem in jedem Jetzt macht es möglich jede subjektive Aussage, die mit dem hier und jetzt arbeitet in eine objektive zu überführen. Aus “Es regnet hier jetzt!” wird “In Wiesbaden regnet es am 4.4.1998 um 17.15 h”. In diesem Sinne kann Heidegger sagen: “In jedem Jetzt-Sagen bin ich je schon auf ein Vorhandenes angewiesen.” (Heidegger, Bd. 21, S.349)

Da die Zeit nichts vorhandenes, nichts empirisches ist, kann sie an ihr selbst nicht näher bestimmt werden. Jede nähere Bestimmung verlangt ein Jetzt-da. Diesen Aspekt der Zeitbestimmung finden wir übrigens auch, aus ganz physikalischen Gründen, in Einsteins Relativitätstheorie. In ihr ist jede Zeit Ortszeit. Dieser Satz der Relativitätstheorie ist ein Satz, der im Wesen der Zeit selbst gründet.

Ich möchte an dieser Stelle noch daraufhinweisen, daß es noch immer keine Theorie der Zeit gibt, die in dem Sinne Korzybskis die multiorinale Natur der Zeit in ihrem Zusammenhang beschreibt. Denn wenn ein einziges Wort für so unterschiedliche Phänomene wie das innere Erleben der Dauer und für die Raum-Zeit in der Relativitätstheorie benutzt wird, dann stellt sie zwangsläufig die Frage nach dem Zusammenhang dieser Phänomene. Z.Z. diskutieren die Fakultäten ihre jeweilige Zeitkonzeption unter sich, ohne eine übergeordnete Perspektive, was ein Verständnis dieses Phänomens sehr  erschwert.

Üblicherweise wird die Zeit als Jetztfolge, also Folge von Jetzt-Punkten betrachtet. Diese Punkte werden dann mit einer Ereignisfolge, z.B. dem Ticken einer Uhr usw. identifiziert. In diesem Sinne schreitet dann die Zeit voran, da es auf der Uhr immer später wird. In diesem Sprachgebrauch ist das Jetzt aber gerade seines phänomenologischen Sinnes beraubt. Jetzt hat nur Sinn in Bezug auf ein Subjekt, das jetzt sagt. Die phänomenologisch korrekte Jetztfolge ist Gegenwart in der etwas begegnet, aber so, daß es selbst unthematisch bleibt. Nur weil das in-der-Welt-sein ein spezielles Gegenwärtigen ist kann das “jetzt das und jetzt das” erlebt werden. “Im Aussprechen des Jetzt ist auch nicht ein Inneres angesprochen, etwa ein Willensakt oder ein Gemütszustand, überhaupt etwas in der Seele Vorkommendes. Mit Jetzt wird überhaupt nicht ein Vorhandenes genannt und angesprochen, sondern mit dem Jetzt spricht sich das dasein aus, nicht als ein vorhandenes, sondern in seinem Sein zur Welt, d.h. in der Grundart dieses Seins zur Welt, im Gegenwärtigen.” (Heidegger, Bd. 21, S.402)

Gegenwart ist ein vieldeutiger Begriff, er meint soviel wie, jetzt, die momentane Epoche, heute usw., aber es bedeutet auch soviel wie Anwesenheit. In Sätzen wie “in meiner Gegenwrt traut er sich das nicht”. Heidegger zeigt nun inwiefern Gegenwart als Zeitmodus noch der Zeitauffassung als Jetzt-Zeit entspringt und in wiefern Gegenwart gar nicht der primäre Zeitmodus ist. Die weiter oben angesprochene Schwierigkeit beim bestimmen des Zusammenhangs von “Ich denke” und Zeit lösen sich mit einem Schlag, wenn das Ich denke nicht in der Zeit abläuft, sondern die Zeit selbst ist. “Das Ich denke als das Wofür des Begegnenlassens ist die Zeit selbst qua reines Gegenwärtigen.” (Heidegger, Bd. 21, S.406)

“Das Sein des Subjekt selbst qua Dasein ist In-der-Welt-sein, und dieses In-der-Welt-sein des Daseins ist nur möglich, weil die Grundstruktur seines Seins die Zeit selbst ist, und zwar hier im Modus des Gegenwärtigens.” (Heidegger, Bd. 21, S.406)

Wir haben weiter oben bemerkt, daß Heidegger das Sein zur Welt als Besorgen und als Sorge charakterisiert hat. Dabei ist mit Sorge nicht ein Zustand des bekümmert seins gemeint, sondern das Sich-selbst-vorweg-schon-sein-bei-der-Welt. Wir hatten oben erfahren, daß das “schon” bzw. “vor” nicht wie ein In-der-Zei-sein verstanden werden können. Heidegger führt dazu weiter aus: “Die Sorge ist in der Weise »durch« die Zeit bestimmt, daß sie selbst Zeit, die Faktizität der Zeit selbst ist.” (Heidegger, Bd. 21, S.406)

“Das Sich-vorweg ist ein Modus der Zeit, und zwar nicht in einer Weise, die in der Zeit vorhanden ist. Zeit kann überhaupt nicht vorhanden sein, sie hat überhaupt nicht eine bestimmte Seinsart – sondern sie ist die Bedingung der Möglichkeit dafür, daß es soetwas wie Sein (nicht Seiendes) gibt.

Zeit hat nicht die Seinsart von etwas anderem, sondern Zeit zeitigt. Und das Zeitigen macht ihr Zeitlichkeit aus. Das Sich-vorweg – ein Modus, in dem die Zeit zeitlich ist.” (Heidegger, Bd. 21, S.410)

Alle Aussagen über Zeit müßen daher unterschieden werden von Aussagen über weltliche Verhältnisse. Aussagen über Temporalität haben als ausgesprochene Sätze den Charakter der Anzeige: sie indizieren nur Dasein, während sie als ausgesprochene Sätze zunächst Vorhandenes meinen. Das die Zeit normalerweise anders verstanden wird, liegt in der eigentümlichen Zeitlichkeit der Zeit selbst. Zeit begegnet uns zuerst in hinblick auf die Welt als das Medium in dem alle Ereignisse ablaufen und insofern ist sie Weltzeit. So wird Zukunft normalerweise als die Zeit aufgefaßt, die noch kommt und noch nicht ist.

“Zukunft als noch nicht vorhandenes Jetzt ist aber so wenig die eigentliche Zukunft, d.h. die Zukunft, nach der die Zeit eigentlich zeitlich ist – so wenig, wie das isolierte und beschränkte, nur vorhandene Jetzt die Gegenwart ist in dem expliziten Sinn des Gegenwärtigens. (…) so ist auch Zukunft als das ankommende Anwesende nur möglich in einem Geggenwärtigen, welche Gegenwärtigung als Auf-sich-zukommenlassen allererst so etwas wie ein Zukommendes, ein zukommendes mögliches Jetzt möglich macht.” (Heidegger, Bd. 21, S.411-12)

Sofern nun das Seinkönnen des Daseins nie etwas ist, was je vorhanden sein wird, also nicht ein mögliches zukommendes Vorhandenes ist, ist die Zukunft ein ungeeigneter Ausdruck für die ursprüngliche Zukünftigkeit des Daseins. Das »Werde was du bist!«, ontisch verstanden, ist nur möglich, wenn ich, ontologisch genommen, bin, was ich werde, d.h. wenn das Sein des Seinkönnens, das Sich-vorwegsein die Strktur des Gegenwärtigens hat.” (Heidegger, Bd. 21, S.413)

Für die Vergangenheit gilt im normalen Zeitverständnis, daß sie die Zeit ist, die nicht mehr ist. Die nicht mehr Anwesenheit eines möglichen Vorhandenen. Dasein ist nie ein Vorhandenes, sondern immer schon eine so oder so entschiedene Möglichkeit. “Das Dasein ist je schon früher das, als was es de facto jeweils ist. Früher aber denn jedes mögliche Früher ist die Zeit selbst, die es macht, daß Dasein so etwas wie Möglichkeit seiner selbst sein kann.” (Heidegger, Bd. 21, S.414)

“Die Anwesenheit des Vorhandenen, die nur entdeckbar ist in einer Gegenwart, besagt aber nichts anderes als das Sein des Seienden. Jedes entdeckende, d.h. gegenwärtigende Aussagen sagt daher »ist«; ob dieses Ist sich sprachlich ausdrückt oder nicht, und wie es sich ausdrückt ist gleichgültig.” (Heidegger, Bd. 21, S.414)

Gegenwart in diesem Sinn ist nun nichts subjektives sondern das Sein zur Welt selbst, “darin sie sich in ihrem An-sich, in verschiedenen Stufen der Näherung und Bestimmung zeigen kann.” (Heidegger, Bd. 21, S.415) Heidegger weist am Ende seiner Analyse auf den Zusammenhang von Zeitbgriff und Logik hin, was uns direkt zum G. Günther bringt: “Sollten (aber) in der Zeitlichkeit des daseins radikalere zeitliche Möglichkeiten liegen, dann müßten diese der traditionellen Logik und Ontologie eine wesentliche Grenze setzen. Ob die philosophische Forschung intensiv und stark genug wird, diese Grenze faktisch zu machen, ist eine Frage ihres Schicksals.” (Heidegger, Bd. 21, S.415)

Diese Heideggersche Konzeption des Zeitigens nimmt auch R. Kaehr auf um sie gegen die lineare Zeitkonzeption abzugrenzen, wie sie bisher im NLP  ausschließlich üblich ist.

“Zeitigen heißt nicht, einen Lebensplen,die einzelnen Lebensstationen auf einer Time Line ausrichten, noch sonst eine Ausrichtung des Verhaltens nach Maßgabe einer linearen Zeitstruktur eines New Life Design. Zeitigen ist auch nicht verbunden mit Visualisieren im Sinne einer Disney Strategie ‘”If you can dream it, you can do it”.

Timing ist informationsbezogen, gebunden an Vorstellungen, die durch die Wahrnehmungssysteme bedingt sind; also durch Modellierungen, die damit Strategien als Sukzession von Handlungen generieren lassen.

Zeitigen ist ein struktureller bzw ein existentieller Begriff. Er betrifft die Existenz des Subiekts und bestimmt damit das Zeitverhalten bzw. das Zeitigen des Subjekts von Grund auf. Hier ist wichtig zu verstehen, daß die Existenz nichts ist, das von seiner Umgebung und seinen Objekten losgelöst ist wie dies für den Begriff des Subjekts konstitutiv ist. Das Subjekt steht seinem Objekt gegenüber, aber es hat ihn zum Gegen-Stand bzw. bildet zu ihm seinem Gegen-Stand. Erst wenn das Subjekt als Dasein gefaßt wird, d.h. in seiner Innerweltlichkeit, dann ist das Sprechen von Zeitigen überhaupt erst möglich. Zeitigen ist so ein Geschehen, das immer schon Subjekt und Objekt, Ich und Du mit umfaßt.

Zeitigen im Sinne von “Optionen für die Zukunft hervorbringen” ist auf der Basis der Daseinsverfaßtheit des Subjekts bzw der Existenz ein co-kreativer Prozeß.” (R. Kaehr, Welt-Entwurf durch Sprache, S.24)

Das Zeitproblem führt uns also sowohl in logisch-ontologische Fragestellungen als auch zur Frage des Willens, als dem Aspekt menschlicher Tätigkeit, die sich nur auf die Zukunft bezieht. Da sich die Vergangenheit nicht ändern läßt kann der Wille nicht rückwärts gerichtet sein. Er kann sich nur auf zukünftiges richten.

Marginalien

“Was ist nun die Zeit? Ich weiß es nur zu gut, vorausgesetzt niemand fragt mich; wenn ich jedoch gefragt werde, sie zu erklären, bin ich verwirrt. St. Augustinus

“Der Zug der Zeit ist ein Zug, der seine Schienen vor sich herrollt, der Fluß der Zeit ist ein Fluß, der seine Ufer mitführt. Der Mitreisende bewegt sich zwischen festen Wänden und festem Boden, aber Boden und Wände werden von der Bewegung der Reisenden unmerklich auf das Lebhafteste mitbewegt.” Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften

“Form heißt das unthematisch, vorgänig vorgestellte Worauf des Hinblicks im Begegnenlassen des Mannigfaltigen der Sinne.” (Heidegger, Bd. 21, S. 280-281)

Ist die Zeit ein Modus des Ich denke oder das Ich denke ein Modus der Zeit? Oder wurzeln beide in einem noch ursprünglicherem Zusammenhang?

Die phänomenologisch korrekte Jetztfolge ist Gegenwart in der etwas begegnet, aber so, daß es selbst unthematisch bleibt. Nur weil das in-der-Welt-sein ein spezielles Gegenwärtigen ist kann das “jetzt das und jetzt das” erlebt werden.

»Zukunft« meint hier nicht ein Jetzt, das, noch nicht »wirklich« geworden, einmal sein wird, sondern die Kunft in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt. M. Heidegger, Sein und Zeit

Das in der Zukunft gründende sich entwerfen auf das »Umwillen seiner selbst« ist ein Wesenscharakter der Existenzialität. Ihr primärer Sinn ist die Zukunft. M. Heidegger, Sein und Zeit

“Es gibt in mir Einen, der mehr ich selbst ist als ich selber.” Augustinus