Zwei der vielleicht radikalsten Ansätze in der Psychotherapie bezüglich der Nutzung von Fragen als Mittel der Veränderung werden von Steve de Shazer und Marilee Goldberg vertreten. Beide schließen sich einer differenzlogischen Position an, wie sie in der Logik von Spencer Brown und mehr erkenntnistheoretisch von Keeney entwickelt worden ist. Letzterer sagt, daß die Sprache ein Werkzeug ist, um Unterscheidungen in die Wirklichkeitserfahrung einzuführen und dadurch überhaupt erst Wirklichkeit zu kreieren. „We literally create the world we distinguish by distinguishing it. If a distinction is not drawn, then that which it would have specified does not exist in our phenomenal domain.“
Von dieser Position ausgehend betrachtet die frageorientierte Therapie nach Goldberg nicht nur die Fragen, die die Therapeutin der Klientin stellt, sondern auch die Fragen, die die Klientin sich selbst stellt. Das heißt:
„Question-centered therapy presumes that a key to personal freedom lies in constructing or reconstructing one’s ‚home‘ by asking internal questions encoded with presuppositions of possibility, responsibility, the ability to choose and the preception of multiple choices“. Eine ihrer Hauptthesen lautet: Problemlösungen können durch eine logische Folge wohlgeformter Fragen an sich selbst konstruiert und operationalisiert werden.
Obwohl wir keine Vertreter einer rein frageorientierten Psychotherapiemethode sind, zeigt dieser Ansatz doch, wie mächtig die Wirkung von Fragen im Hinblick auf Veränderungen sein kann.
Ein wesentlicher Grund ein Buches über therapeutisches Fragen zu schreiben, besteht in unserer Vorannahme, daß es kein unschuldiges Fragen gibt und daß sich niemand, vor allem nicht im Kontext therapeutischen Arbeitens, auf die Position zurückziehen kann: „Ich habe ja nur mal gefragt!“ Daß diese Position leider noch kein Allgemeinplatz in der Psychotherapie ist, zeigt sich im therapeutischen Ansatz von Grove, der meint, daß ein „reines“ Befragen möglich sei, und den wir deshalb im Anschluß an unsere These als eine Gegenposition kurz in seiner Argumentation skizzieren wollen.
Ich hab ja nur mal gefragt – Befragen, Elizitieren und Installieren
Eine der Grundtätigkeiten im NLP ist das Elizitieren und das Installieren. Dabei versteht man unter „Elizitieren“ das Herausholen von Informationen, die in der Klientin schon vorhanden sind; d.h., die sie vorbewußt schon kennt. ‚Installieren‘ ist hingegen die Tätigkeit, bei der neue Verhaltens- und Erlebnisprogramme in Klienten hineinprogrammiert werden.
Das Elizitieren ist im wesentlichen ein Befragen. Dabei tut man im NLP so, als ob es eine einfache Abfrage von Daten geben könnte. Dies ist zum Beispiel beim Elizitieren von Strategien oder Submodalitäten der Fall oder dann, wenn die genauen Umstände eines Geschehens erfragt werden.
Für jegliches Befragen gilt: Es gibt eine Fragerin, ein Erfragtes und eine Befragte. Jedes Fragen ist ein Suchen. Ein Suchen ist aber immer ein Suchen nach etwas, was bedeutet: Ich habe ein Vorverständnis dafür, wonach ich suche. Das Suchen kann zum „Untersuchen“ werden, wenn das Gesuchte als solches gefunden worden ist und nun näher bestimmt werden soll. Das beim Fragen Intendierte ist das Erfragte. Das Fragen kommt ans Ziel, wenn es gefunden worden ist.
Die Gleichheiten und Unterschiede von Elizitieren und Installieren lassen sich gut darlegen, indem die Befragung eines Computers mit der eines Menschen verglichen wird. Wenn nicht die Natur oder ein materieller Zusammenhang (z.B. Computer) befragt wird, sondern ein Mensch, dann kommen zu diesen allgemeinen Bestimmungen des Fragens noch weitere hinzu:
Jede Frage richtet die Aufmerksamkeit der Befragten in eine bestimmte Richtung, die diese in diesem Moment von sich aus wahrscheinlich nicht eingeschlagen hätte. Beispiel: Wenn ich eine ältere Dame bei der Vorstellung nach ihrem Alter frage, was im Kontext eines Arztbesuches normal ist, aber durchaus nicht im Kontext einer Partysituation, dann führt diese Frage dazu, daß nicht nur eine vorhandene Information aktiviert und entweder mitgeteilt oder nicht mitgeteilt wird, sondern diese Dame wird durch die Frage und den Kontext bedingt alle Daten rund um ihr Alter in dem jeweiligen Kontext anders ordnen. So zeigt die Alltagserfahrung, daß uns viele Dinge erst dann einfallen, wenn wir durch etwas an sie erinnert werden (z.B. Kindheitserinnerungen).
Das Fragen wirkt wie ein neurologischer Scheinwerfer, der Zusammenhänge zwischen Daten, Fakten, Ereignissen etc. herstellt, die vorher möglicherweise nicht bestanden haben. In diesem Sinne entsteht bei der Befragung etwas Neues, es wird etwas installiert. Jede Frage führt zu einer kontextbedingten Neuorganisation des betreffenden „Informationsbestandes“.
Beim Befragen eines Computers ist das anders. Nehmen wir den Fall, daß ein Programmierer vermutet, die Software weise einen Programmfehler auf. Er beginnt den Fehler zu suchen. Das Suchen und Befragen ändert dabei nichts an der Tatsache, ob ein Fehler vorliegt oder nicht. Wenn der Fehler gefunden wird, kann er nur durch eine Neuprogrammierung behoben werden. Das Finden allein verändert den Datenbestand nicht.
Fragen im therapeutischen Bereich
Jede Frage, die eine Therapeutin stellt, präsupponiert, daß das, wonach gefragt wird, etwas ist, wonach sinnvollerweise gefragt werden kann. Dadurch wird die Existenz des Erfragten zumindest als Möglichkeit installiert. In diesem Sinne könnte man sagen, daß die Fragen und Hypothesen von Therapeuten das Problem, seine möglichen Lösungen und mithin den gesamten therapeutischen Prozeß mitkreieren.
Wenn ich z.B. eine Klientin frage, ob sich ihre linke oder ihre rechte Hand schwerer anfühlt, dann richtete ich ihre Aufmerksamkeit in ihre Hände, wo sie vorher vermutlich nicht gewesen ist. Damit setze ich auch voraus, daß es möglich ist, einen Gewichtsunterschied bei den Händen festzustellen. Es ist zumindest zu bezweifeln, ob dies etwas ist, was die Klientin vorher auch schon geglaubt hatte.
In der Psychotherapie bzw. in der alltäglichen Kommunikation zwischen Menschen gibt es kein unschuldiges Fragen nach dem Motto: „Ich hab‘ ja nur mal gefragt!“. Jede Frage fokussiert die Aufmerksamkeit des Zuhörers in eine bestimmte Richtung und verändert insofern den momentanen Bewußtseinszustand. Es ist unmöglich, Fragen zu stellen, ohne damit (mindestens in einem gewissen Maße) zugleich neue Informationen zu schaffen und bei den befragten Personen eigene Ideen anzustoßen. Jede Frage kann durch ihre impliziten Vorannahmen die gewohnte Art, Dinge zu sehen, „verstören“.
Das Buch „Magie des Fragens“ soll dazu beitragen, die weitreichenden Konsequenzen dieser Einsicht in Bezug auf therapeutisches Befragen sichtbar zu machen.