NLP und systemische Therapie

Die Entwicklung des NLP begann mit der Modellierung therapeutischer Spitzenleistungen (M.H. Erickson, V. Satir, F. Perls) unter Zuhilfenahme theoretischer Konzepte von Korzybski, G. Bateson, Chomsky, Vaihinger. Daraus ergaben sich so wirkungsvolle Techniken wie Ankern, Reframing, Meta-Modell der Sprache, Strategien, Milton-Modell, Re-Imprint, Submodalities oder Timeline. Ursprünglich hatten Bandler und Grinder auch vor, Frank Farrelly zu modellieren. Leider wurde aus diesem Projekt nichts.

Wir stellen hier ein Modellierungsprojekt vor, das die Arbeitsweise von Bert Hellinger zum Gegenstand hat.

In seiner systemischen Therapie (heute nennt er sie phänomenologische Therapie) fanden wir Lösungen für therapeutische Probleme, die wir bisher nicht lösen konnten. Jeder einzelne von uns hatte in seiner therapeutischen Praxis Klienten mit Störungen, bei denen die bekannten NLP-Techniken zwar zu einer gewissen Erleichterung oder Entlastung führten, aber keine wirkliche Veränderung oder Heilung stattfand, die sonst mit diesen Techniken möglich ist.

Wir sehen in diesem Modellierungsprojekt die Möglichkeit, das NLP um eine neue Dimension zu bereichern, die dort bisher unbekannt ist: den Bereich der systemischen Störungen.

Unserer Auffassung nach können die Ursachen von Störungen in drei Klassen eingeteilt werden:
1. individuelle Traumata
2. unzureichende Nutzung der Repräsentationssysteme und Metaprogramme
3. Systemische Störungen (i.S. Bert Hellingers) – Symptome sind hier nicht durch individuelle Erfahrungen bedingt, sondern Ausdruck einer Störung der Ordnung in der Herkunftsfamilie.

Systemische Störungen unterscheiden sich von den ersten beiden Klassen dadurch, daß es als Ursache für diese Symptomatik keine traumatisierende Erfahrung im persönlichen Lebenslauf gegeben haben muß.

Nach Bert Hellinger gibt es eine jedem Menschen innerlich präsente Ordnung menschlicher Beziehungen. Ist diese Ordnung gestört, spüren Mitglieder eines Systems dies wie mit einem inneren Gleichgewichtssinn und machen daraufhin ”blinde Ausgleichsbewegungen” z.B. durch die Übernahme eines fremden Schicksals von einem Altvorderen. Der Drang zu dieser Bewegung ist unwiderstehlich und erfolgt unbewußt (wird allerdings dann i.d.R. rationalisiert). Geschieht also dem Mitglied eines Systems ein Unrecht (i. S. der noch zu beschreibenden Systemgesetze) oder hat jemand einen Vorteil durch den Nachteil eines anderen, dann repräsentiert ein Nachkomme diese Person, stellt in seinem Leben deren früheres Schicksal nach (”Identifizierung”) und hat sogar deren Gefühle (”Fremdgefühle”).

Beispiele:
– Wurde jemand in der Sippe, z.B. ein Onkel, ausgeschlossen, dann schließt sich ein Nachfahre (z.B. ein Neffe) auch aus, er sorgt dafür, daß er einsam ist, fühlt sich verlassen und sehnsüchtig. So wiederholt er das Schicksal des Onkels und hat dessen Gefühle. Dabei treten diese Gefühle ohne erkennbaren Auslöser im Lebenslauf auf.

– Auch wenn die Existenz eines Sippenmitglieds einfach nicht bekannt ist, wie z.B. bei einem ”illegitimen” Kind, wirkt dies wie ein Ausschluß.

– Stirbt ein Kind früh, dann versucht ein Geschwister dem früh verstorbenen nachzufolgen, arbeitet daraufhin, zu sterben, fühlt sich schuldig, macht waghalsige Unternehmungen, hat oft eine unerklärliche Sehnsucht und verhält sich selbstzerstörerisch. Hier konnte man den emotionalen Hintergrund bezeichnen als Treue bis in den Tod.

– Wenn Vater oder Mutter früh sterben, folgt daraus häufig auch diese Dynamik. Haben die Eltern große Opfer gebracht, dann traut das Kind sich nicht, sein Leben wirklich zu nehmen, voll und ganz zu leben, sondern lebt reduziert mit unnötigen Opfern; das Kind will ihnen nachfolgen in den Tod.

Bert Hellingers hat lange als Priester in Afrika gearbeitet. In dieser Zeit war er u.a. Schulleiter, arbeitete pädagogisch und analytisch-gruppendynamisch. Nachdem er Anfang der 70er Jahre den Orden verließ, arbeitete er mit der Primärtherapie, der Transaktionsanalyse, speziell der Skriptanalyse, die die Aufdeckung des ”geheimen Lebensplans” zum Thema hat. In den USA lernte er Familientherapie. Er
hat sich intensiv mit Ericksonscher Hypnotherapie und NLP beschäftigt und die Einführung des NLP in Deutschland gefördert. Den eigentlichen originären Ansatz seiner Therapie entwickelte er aus der Verhindung
von Primärtherapie, Skriptanalyse und der Familienskulptur. Dabei veränderte er das Sculpturing von V. Satir und entwickelte seine Arbeitsweise des ”Familienstellens”.

Dr. med. Ulf Pitthan lernte Bert Hellinger 1976 kennen. Er hatte selbst lange Erfahrung im Familienaufstellen in Gruppen und in Verbindung mit NLP das Verfahren ständig weiterentwickelt.

Dipl. Psych. Katharina Stresius, Psycho- und Familientherapeutin, beschäftigt sich, seit sie das NLP kennenlernte, mit der Integration von Systemtherapie und NLP: u.a. entwickelte sie in der systemischen Einzelarbeit mit Patientlnnen den zirkulären Relmprint.

Klaus Grochowiak, NLP-Master-Trainer, der sich seit langem mit polykontexturaler Logik und Systemtheorie beschäftigte, gab den Anstoß zu diesem Modellierungsprojekt. So fanden 1993 die ersten Seminare über ”NLP und systemische Familienarbeit” statt (4 x 6 Tage).

Die vorliegende Arbeit versteht sich als Zwischenbericht über die Ergebnisse unserer Erfahrungen. Bevor wir uns mit den Vorannahmen und Einzelheiten dieses Projektes näher beschäftigen, sollen noch einige Begriffe geklärt werden. Das Wort ”systemisch” wird z.Zt. in verschiedenen theoretischen Schulen unterschiedlich benutzt.

NLP bezieht sich zwar seit seinen Anfängen auf eine kybernetisch orientierte Systemtheorie (Pribram, Gallanter u.a.), arbeitet aber nicht mit systemischen Konzepten. Die Entwicklung der kybernetischen Systemtheorie von ihren ersten Anfängen (1. Order Cybernetics) bis zu ihren modernen Versionen (2. Order Cybernetics, Heinz von Foerster), bei denen der Beobachter Teil des zu beschreibenden Systems ist, wurde auch nicht ins NLP integriert; genauso wenig die Arbeiten von Maturana über autopoetische Systeme, die in der Familientherapie großen Einfluß bekommen haben.

Noch anders wird der Begriff ”systemisch” in der phänomenologischen Therapie Bert Hellingers verwendet: System bezieht sich hier auf die Familie und Sippen. Dazu gehören in der Regel die Geschwister, die Eltern und ihre Geschwister, die Großeltern und selten noch einzelne der Urgroßeltern. Zum System gehören aber auch noch alle Personen, durch deren Schicksal Mitglieder des Systems einen existentiellen Vorteil hatten, z.B. frühere Verlobte oder Ehepartner der Eltern, durch deren Weggang die Ehe der Eltern und damit die eigene Existenz erst möglich geworden ist. 

Hellinger geht von einer menschlichen Ursprungsordnung aus, die in der Sippe wirkt. Sie beruht auf einer ”Ordnung” im engeren Sinne, dem ”Ausgleich von Geben und Nehmen”, der ”Bindung” und dem ”Recht auf Zugehörigkeit”. (Zu den nachfolgend beschriebenen Begriffen s. a.: ”Zweierlei Glück – die Systemische Therapie Bert Hellingers” von Gunthard Weber, Carl Auer Verlag, 1993.)

– Die Ordnung folgt dem Ablauf der Zeit: ein Früherer hat Vorrang vor einem Späteren. Demnach greift sich das Schicksal einen Späteren, unabhängig von dessen Willen und Tun, so daß sich sein Leben nach den Vorgaben des früheren Systemgeschehens ausrichtet.

– ”Ausgleich von Geben und Nehmen” ist ein fundamentales Wirkprinzip in der menschlichen Gesellschaft. Der Drang zum Ausgleich für Empfangenes ist eine unwiderstehliche Kraft, die, wenn ihr Wirken nicht erkannt wird, blind, unkontrollierbar und damit oft zerstörerisch wirkt. Nicht-Ausgleichen wird dabei als Schuld (Schuldigkeit) erlebt, Ausgleich als Ruhe und Seelenfrieden, auch wenn man sich persönlich damit schadet.

– Bindung entsteht durch das Hineingeboren werden in die Sippe. Sie äußert sich als Liebe, Treue und Loyalität. Sie wird erlebt als Verpflichtung wie auch als Recht auf Zugehörigkeit. Bert Hellinger hat viele seiner Überlegungen anhand von Familienaufstellungen gefunden und/oder überprüft. In einer ruhigen gesammelten Atmosphäre läßt Hellinger den Klienten aus der Gruppe Personen stellvertretend für seine Familienmitglieder aussuchen. Der Klient stellt jeden – ganz nach Gefühl und ohne zeitlichen, situativen Kontext – zu den anderen in Position, so wie sie in seiner Familie zueinander standen. Dann wird der Klient zum Beobachter. Hellinger befragt jeden einzelnen in dieser Aufstellung nach seinem Befinden und gibt ihnen schrittweise neue, lösungsorientierte Positionen im System. Die Endaufstellung nimmt der Klient als neues inneres Bild in sich auf, wo es heilend wirken kann.

System bezieht sich hier auf die Familie und Sippen. Dazu gehören in der Regel die Geschwister, die Eltern und ihre Geschwister, die Großeltern und selten noch einzelne der Urgroßeltern. Zum System gehören aber auch noch alle Personen, durch deren Schicksal Mitglieder des Systems einen existentiellen Vorteil hatten, z.B. frühere Verlobte oder Ehepartner der Eltern, durch deren Weggang die Ehe der Eltern und damit die eigene Existenz erst möglich geworden ist. 

Hellinger geht von einer menschlichen Ursprungsordnung aus, die in der Sippe wirkt. Sie beruht auf einer ”Ordnung” im engeren Sinne, dem ”Ausgleich von Geben und Nehmen”, der ”Bindung” und dem ”Recht auf Zugehörigkeit”. (Zu den nachfolgend beschriebenen Begriffen s. a.: ”Zweierlei Glück – die Systemische Therapie Bert Hellingers” von Gunthard Weber, Carl Auer Verlag, 1993.)

– Die Ordnung folgt dem Ablauf der Zeit: ein Früherer hat Vorrang vor einem Späteren. Demnach greift sich das Schicksal einen Späteren, unabhängig von dessen Willen und Tun, so daß sich sein Leben nach den Vorgaben des früheren Systemgeschehens ausrichtet.

– ”Ausgleich von Geben und Nehmen” ist ein fundamentales Wirkprinzip in der menschlichen Gesellschaft. Der Drang zum Ausgleich für Empfangenes ist eine unwiderstehliche Kraft, die, wenn ihr Wirken nicht erkannt wird, blind, unkontrollierbar und damit oft zerstörerisch wirkt. Nicht-Ausgleichen wird dabei als Schuld (Schuldigkeit) erlebt, Ausgleich als Ruhe und Seelenfrieden, auch wenn man sich persönlich damit schadet.

– Bindung entsteht durch das Hineingeboren werden in die Sippe. Sie äußert sich als Liebe, Treue und Loyalität. Sie wird erlebt als Verpflichtung wie auch als Recht auf Zugehörigkeit.

Bert Hellinger hat viele seiner Überlegungen anhand von Familienaufstellungen gefunden und/oder überprüft. In einer ruhigen gesammelten Atmosphäre läßt Hellinger den Klienten aus der Gruppe Personen stellvertretend für seine Familienmitglieder aussuchen. Der Klient stellt jeden – ganz nach Gefühl und ohne zeitlichen, situativen Kontext – zu den anderen in Position, so wie sie in seiner Familie zueinander standen. Dann wird der Klient zum Beobachter. Hellinger befragt jeden einzelnen in dieser Aufstellung nach seinem Befinden und gibt ihnen schrittweise neue, lösungsorientierte Positionen im System. Die Endaufstellung nimmt der Klient als neues inneres Bild in sich auf, wo es heilend wirken kann.

Ein weiteres Fallbeispiel:

– Eine Frau, 39 Jahre, kommt in Therapie wegen Gefühlen von Sinnlosigkeit und der Idee, sie habe überhaupt nichts in ihrem Leben zustande gebracht, könne auch nichts mehr lernen, habe Angst, irgendwann würde ihr Versagen auch an ihrer Arbeitsstelle auffallen. Keine der angewandten therapeutischen Interventionen bewirkte eine Verbesserung ihres Zustandes. Ressourcen verlor sie wieder, Timeline und Re-Imprints zeigten keine große Wirkung. Erst mit der Information, daß sie als ältestes Kind noch zwei behinderte Geschwister hatte, machte deutlich, daß sich die Patientin schuldig fühlte. Sie hat das ”unverdiente Glück”, gesund auf die Welt zu kommen, nicht annehmen können und – in Form des ”blinden Ausgleichs” – versucht, das Schicksal der Geschwister auf sich zu nehmen und ”behindert” zu leben. Mit dieser Einsicht konnte der Heilungsprozeß beginnen. Es gibt Fälle, wo erst durch das Aufstellen der Familie von den Mitspielern die Aussage kam: ”Hier fehlt jemand!” Wenn die Klienten dann später in ihrer Herkunftsfamilie nachfragten, wurde ihnen überrascht oder entsetzt mitgeteilt, daß diese Person tatsächlich existierte, bisher allerdings verschwiegen wurde. Es ist immer wieder frappierend, damit konfrontiert zu sein, daß fremde Menschen miteinander diese Informationen finden bzw. plötzlich haben. Wie sie zu diesem ”Wissen” kommen, darüber haben weder wir noch Bert Hellinger eine Theorie. Wir nehmen statt dessen die Tatsache als solche ”phänomenologisch” zur Kenntnis und nutzen ihre Wirkung. 

Die Störungen im System sind oft die Auswirkungen von weit zurückliegenden Ereignissen wie Ausschluß oder früher Tod von Mitgliedern des Systems. Bemerkenswert ist die vollkommene Unbewußtheit bei den Betroffenen und ihrer Umgebung für die hier wirksamen Kräfte. So, wie ein dunkler Stern nur durch die Auswirkung seiner Schwerkraft auf andere Gestirne wahrnehmbar wird, erschließt sich die Wirksamkeit der in Sippen ablaufenden Gesetzmäßigkeiten nur durch ihre Auswirkung auf alle Mitglieder des Systems, und eine Lösung der ”Verstrickungen” ist nur aus einer Kenntnis dieser Gesetze möglich.

Mit unserem Modellierungsprojekt prüfen wir folgende Thesen:

1. Systemische Störungen sind eine im NLP unbekannte Symptomklasse, für die es dort keine angemessenen therapeutischen Interventionen gibt.

2. Für unterschiedliche systemische. Verstrickungen gibt es jeweils bestimmte Interventionen.

3. Um systemisch arbeiten zu können, muß man die Kategorie der ”Fremdgefühle” kennen und das von uns so genannte ”kinästhetische Kalibrieren ” gelernt haben.

In der systemischen Therapie ist das Aufspüren von Fremdgefühlen ein wichtiges Werkzeug: Gefühle können von Menschen direkt, wie mit einem Radar, wahrgenommen werden. Ulf Pitthan hat diesen Vorgang in seinem Aufsatz: ”Gefühle als diagnostisches Kriterium” genauer beschrieben, und zwar, woran der Therapeut erkennen kann, mit welcher Kategorie von Gefühlen – und daher mit welchen inneren Prozessen – er jeweils zu tun hat. Diverse Einteilung in primäre, sekundäre, fremde und Gefühle des Seins geht auf Bert Hellinger zurück. Danach gibt es primäre Gefühle, die ein direkter, unverfälschter und eindeutiger Ausdruck des seelischen Geschehens sind, Sekundärgefühle, die das Handeln ersetzen (der Begriff stammt aus der Transaktionsanalyse), Fremdgefühle bei Übernahme eines fremden Schicksals und Seinsgefühle, die einen ruhigen Zustand des Bei-Sich-Selbst-Seins widerspiegeln.

Bert Hellinger hat einmal geschildert, wie ihm die Idee der Existenz von Fremdgefühlen kam:

Er hatte einen Klienten, der einen geradezu monströsen Haß seinem Vater gegenüber hatte. Es gab aber eigentlich nichts, was erklärte, wie der Mann zu diesem Haß gekommen war. Der Vater aber hatte Gründe für ein solches Gefühl, und plötzlich kam Hellinger die Idee, der Sohn trage vielleicht die Gefühle des Vaters mit sich herum.

Noch ein Beispiel seiner Arbeit:

Hellinger hatte in einem Kurs eine Frau, die, obwohl sie zu allen offen und freundlich war, ihren Mann in der Gruppe entwertete und bloßstellte. An einem Morgen kam sie zur Gruppe und teilte öffentlich mit, sie habe die Nacht mit ihrem Geliebten verbracht. Auf Nachfragen kam heraus, daß der Vater dieser Frau eine Geliebte hatte, mit der er die Familie, die er in den Ferien aufs Land geschickt hatte, besuchte. Die Mutter hatte diese Geliebte freundlich bedient. Daraufhin konnte die Wut der Frau verstanden werden als die ”fremde” Wut der Mutter.

Hier wird auch ”das Prinzip der doppelten Verschiebung” (Hellinger) deutlich, nach dem die Frau das ”Fremdgefühl” übernommen hat:

Statt der Mutter hat nun die Tochter die Wut. Das ist die Verschiebung im Subjekt. Und statt die Wut dem Vater gegenüber zu äußern, wütet sie gegen den Ehemann. Das ist die Verschiebung im Objekt. Würde diese Wut jetzt in der Therapie als ihre Wut behandelt, um sie mit Hilfe von Ankerverschmelzen, Re-Imprint oder ähnlichem in angemessene Aggression zu transformieren, entstünde ein zähes Ringen um Erfolg, ohne überzeugendes Ergebnis. Gibt die Frau diese ”fremde” Wut an ihre Mutter zurück und läßt sie dort in deren Zuständigkeit, wird ihr Verhalten sich aufgrund einer solchen systemischen Intervention entscheidend verändern. Das zeigt, daß dieses Symptom nicht individuell therapierbar ist, sondern im Kontext der zum System gehörenden Personen in deren Zuständigkeit zurückgegeben werden muß.

Die therapeutische Wirkung ist in diesen Fällen weitreichend und hat oft eine tiefgreifende Neuorientierung der Klienten zur Folge. 

Kinästhetisches Kalibrieren oder wie man Fremdgefühle erkennt:

Fremdgefühle werden erzeugt durch bestimmte Konstellationen in der Familie. Wer jemals mit Familienaufstellungen gearbeitet hat, der kennt die enorme Intensität und Ausstrahlungskraft dieser Gefühle. Ahnungslose Mitspieler sind plötzlich davon erfaßt. Es ist praktisch unmöglich, sich der Einwirkung von Fremdgefühlen zu entziehen. Dies ist nicht nur in Gruppen so, sondern auch in der Einzeltherapie. Dem Klienten ist das Fremdgefühl unbewußt, der Therapeut muß um diese Gefühlskategorien wissen, um sie dem Klienten zur Einsicht zu bringen.

Der Therapeut bemerkt das Fremdgefühl bei sich selbst!

Diese Erfahrung ist sehr direkt und massiv. Und zwar fühlt sich der Therapeut – und auch die beobachtende Gruppe kann das spüren – typischerweise gelähmt, überdrüssig, müde. Es ist, als taste er im Nebel herum, als gäbe es keinen Ausweg. Für uns ist das Auftreten dieser Gefühle ein entscheidender Zugangshinweis geworden, der uns veranlaßt, die NLP-Arbeit zu unterbrechen (oder gar nicht erst anzuwenden) und systemisch weiter zu arbeiten. 

Beim kinästhetischen Kalibrieren stehen nicht so sehr die vom Klienten geäußerten Gefühle im Vordergrund. Und es wird nicht, wie sonst im NLP üblich, der innere Zustand des Klienten anhand visueller und auditiver Merkmale kalibriert. Bedeutsam ist die Befindlichkeit des Therapeuten: das Auftreten von Gefühlen von Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit verbunden mit einem Abschweifen der Aufmerksamkeit und Desinteresse. Er ist innerlich ”nicht dabei”, und zwar beim Ausdruck intensiver Gefühle, die normalerweise betroffen machen würden. Wenn der Therapeuten aber die Bedeutung des Auftretens dieses anscheinend inadäquaten inneren Zustandes bei sich nicht kennt, dann wird er die Ursache dafür bei sich selbst suchen oder im ”Widerstand” des Klienten. 

In einer Gruppe ergibt Nachfragen dann, daß viele Teilnehmende ähnliche Gefühle hatten, oft verbunden mit lebhaften Schuldgefühlen wegen eigener ”Herzlosigkeit”, fehlender Empathie usw.

Wir haben eine Reihe von Zugangshinweisen gefunden, auf welche inneren Zustände sich der Therapeut bei sich kalibrieren kann und auf welche äußerlich sichtbaren Veränderungen beim Klienten zu achten ist. Der in der Arbeit mit Fremdgefühlen geübte Therapeut wird dann die bisherige Arbeitsebene verlassen und Fragen stellen nach systemischen Zusammenhängen, z.B. ”Das wirkt auf mich so, als ob du die Gefühle eines anderen Menschen ausdrückst. Wer in deiner Familie könnte solche Gefühle gehabt haben?”

Dazu ein weiteres Beispiel: 

In einer Gruppe berichtete ein Mann über Gefühle von Trauer und Resignation, die ihn immer wieder in ihren Bann schlugen. Es wurden verschiedene Interventionen gemacht, aber die Arbeit wurde zäh. Aufmerksam geworden durch seine eigene Reaktion, fragte der Therapeut die Gruppe. Eher unsicher, verlegen und schuldbewußt gaben die Teilnehmer zu, daß sie nicht bei der Sache waren, abschweiften, und trotz der Intensität des Gefühlsausdrucks des Mannes kaum wußten, um was es ging. Der Therapeut befragte den Mann über seine Herkunftsfamilie und erfuhr, daß der Großvater aus dem System ausgeschlossen wurde. Dorthin gehörten die Gefühle des Mannes.

Den möglichen Einwand gegen dieses Vorgehen, daß die Gefühle des Therapeuten nur eine subjektive Interpretation der therapeutischen Interaktion darstellten, entgegnen wir:

  1. Diese Kalibrierungstechnik hat sich bei vielen Therapeutlnnen mit unterschiedlichem Klientel als hilfreich erwiesen und
  2. kann diese Vorannahme im Dialog mit dem Klienten überprüft werden.
  3. Darüber hinaus haben wir andere Zugangshinweise für Fremdgefühle gefunden, die unabhängig vom Erlebnis des Therapeuten sind.

Bisher haben wir für die Modellierungsarbeit folgende Medien benutzt:

– Teilnahme an Kursen von Bert Hellinger

– Bücher und Videos von ihm

– Mehrere Gespräche mit ihm über sein Verständnis seiner Arbeit, seine Einschätzung

von NLP usw.

– Eigene Arbeit mit Familienaufstellungen nach seiner Methode

– Anwendung seiner Vorgehensweise im Rahmen von NLP Interventionen.

Aus dem uns von Bert Hellinger vermittelten Wissen und unserer therapeutischen Praxis haben wir die Hypothese entwickelt, daß ”systemische Störungen” nicht mit therapeutischen Techniken behandelt werden können, die für individuelle Störungen entwickelt wurden. Es bringt überhaupt nichts, z.B. ein Fremdgefühl mit einem positiven Anker verschmelzen oder re-imprinten zu wollen. 

Die einzige Art, mit Fremdgefühlen konstruktiv umzugehen, ist, sie zurückgeben zu lassen in die Zuständigkeit dessen, zu dem sie gehörten, und diversen zugrundeliegende Identifizierung zu lösen, indem die altvordere Person wieder ihren Platz im System erhält und zu einem realen Gegenüber wird. 

Das Konzept der Ursprungsordnung und der Übernahme fremden Schicksals durch Identifizierung als blinder Ausgleichsversuch sowie die Kategorie des Fremdgefühls ist auch in den familientherapeutischen Schulen nicht bekannt. Unserer Meinung nach stellt die Psychotherapie Bert Hellingers einen so grundlegend neuen und wirkungsvollen Ansatz in der systemischen Familientherapie dar, daß wir die enorme therapeutische Wirksamkeit seiner Methode mit Hilfe der NLP-Technologie formatieren und sie so auch im NLP lehr- und lernbar machen wollen.

Das NLP hat in den letzten Jahren in vielen Psychotherapieschulen ”geräubert” und die effizientesten Interventionen übernommen. 

Durch diese ”Kolonialisierung” des systemischen Arbeitens ins NLP wird ein Diskurs in einem anderen gespiegelt. Es entsteht eine Verzerrung, bei der etwas verloren geht, aber auch etwas Neues hinzu kommt: So etwa wie das Milton-Modell nur bestimmte Aspekte von Milton H. Ericksons Werk enthält. (Zitat Erickson: Sie taten mich in eine Nußschale.) Andererseits sagte Erickson auch über das Buch ”Patterns of Hypnotic Techniques of M.H. Erickson” von Bandler und Grinder: ”…a delightful simplification of the infinite complexities of the language I use with patients. In reading this book, I learned a lot about the things that I have done without knowing about them.” 

Über die Frage, inwiefern diese Hellingersche Arbeitsweise formatierbar bzw. durch ”behavioral modelling” im Sinne des NLP erlernbar ist, sind wir uns noch nicht einig. Wir sind uns aber einig über unsere Erfahrung, daß beim Auftauchen von Fremdgefühlen oder anderen systemischen Störungen die uns bekannten Ansätze des NLP unwirksam sind. 

Die Anwendung der von uns benutzten systemischen Strategien (oder Formate) führt regelmäßig zu grundlegenden und nicht selten sogar spektakulären Veränderungen. Da es sich dabei häufig um sogenannte ”therapieresistente” Fälle handelt, führt dies natürlich bei Therapeut und Klient zu großer Zufriedenheit. Mit unserem Modellierungsprojekt wird eine grundsätzliche Erweiterung der Reichweite des NLP möglich. Diese Erweiterung ist nicht allein als ein lineares Hinzufügen von neuen Techniken zu verstehen, sondern es bedarf hierbei auch einer grundlegenden Revision einiger Vorannahmen des NLP.

Zusammengefaßt unsere bisherigen Arbeitsergebnisse:

  1. NLP-Formate finden die Grenzen ihrer Wirksamkeit bei systemischen Störungen, wenn nicht die Bedeutung von bestimmten Symptomen im System und ihre Bedingtheit durch das System erkannt werden.
  1. Wenn Identifizierungen und andere systemische Störungen (z.T. über Generationen hinweg) vorliegen, wie bei Übernahme von fremden Schicksalen (Schuld, Unglück, Krankheit und Tod u.a.), sind bisher bekannte NLP-Formate kontraindiziert.
  1. Einige NLP-Vorannahmen (z.B.: Eine Person hat alle Ressourcen in sich, um ihr Problem zu lösen) gelten hier nicht.
  1. Indem man die Vorannahmen des NLP um das Wissen über die Ursprungsordnung und die Gefühlskategorien von Bert Hellinger erweitert, müssen in die therapeutische Arbeit alle zum System gehörenden Personen mit einbezogen werden.
  1. Fremdgefühle kann man mit den bisherigen NLP-Formaten nicht bearbeiten, d.h., trotz z.B. Core-Transformation oder Re-Imprint-Arbeit bleibt eine Irritation bei Patient und Therapeut, wenn die Person, von der ein Gefühl übernommen wurde, nicht ”anwesend” ist, nicht in das innere Bild vom System genommen ist.
  1. Die NLP-Arbeit wird optimiert durch die Einführung eines Meta-Formates, das hilft, eine klare Indikation zu ermitteln, wann ein NLP-Format z.B. unterbrochen und systemisch interveniert werden muß bzw. wie und wann in ein NLP-Format ein ”systemisches Modul eingebaut werden kann.

Ziele unserer weiteren Arbeit:

– Wir wollen die Diagnostik zum Erkennen von systemischen Störungen anhand von definierten Zugangshinweisen weiter verbessern (u.a. kinästhetisches Kalibrieren).

– Wir haben bereits ein Meta-Format entwickelt zur Indikation, wann mit NLP oder systemisch gearbeitet werden sollte und sind dabei, es zu verfeinern. Wichtig ist uns dabei auch, zu erkennen, wann die systemische Arbeit abgeschlossen ist, und ob überhaupt mit NLP weitergearbeitet werden kann oder muß.

– Wir arbeiten daran, NLP-Formate so zu erweitern, daß an geeigneten Stellen systemische Arbeitsschritte eingebaut werden können (s. z.B. zirkulärer Re-Imprint: bei der Neuprägung werden die Wirkweisen von Rangordnung, Ausgleich und Bindung mit beachtet).

– Wir wollen systemische Interventionen mit den Methoden des NLP optimieren (z.B. Rapport, Ankern, Meta-Modelle der Sprache usw.).

– Wir erproben, inwieweit das Familienaufstellen mit einer Gruppe mental auch von einer Person in der Einzelarbeit bewältigt werden kann (analog zur Übersetzung von Satirs ”Parts Party” in der Gruppe in ein internes Arbeit-mit-Teilen Modell).

Klaus Grochowiak, Katharina Stresius und Ulf Pitthan (Erschienen in Multimind Mai/Juni 1995)

Weitere Informationen siehe Buch “NLP und das Familienstellen” (klick):

 

Online Videokurs NLP und Familienstellen (klick)