Wenn man Teilnehmer an einem NLP Practitioner Kurs die Frage stellt, was sie zur NLP Teilnahme an der NLP Ausbildung motiviert hat, dann ist eine der wichtigsten Antworten: “Ich wollte mal wieder was für mich selbst tun.” Natürlich wollen die NLP-Teilnehmer auch ihre Kommunikationsfähigkeit verbessern, oder ihre therapeutische Tool Box erweitern, aber das Hauptmotiv bleibt das Bedürfnis etwas für die eigene persönliche Entwicklung (für die eigene Existenz) zu tun.
Dieses Bedürfnis haben die alten Griechen Selbstsorge (epiméleia heautoú) genannt. Zusammen mit der Aufforderung Erkenne Dich selbst geben sie den Horizont für die Beantwortung der Frage: „Wer sind wir?“ ab. Sich selbst zu kennen war die Voraussetzung um sich um sich selbst kümmern zu können. Wir können auch sagen: Wer sich um sich selbst kümmern will, ist einer, für den “sich das Leben nicht mehr von selbst versteht.” Epiméleia heautoú können wir auch als eine Form der Lebenskunst verstehen. Das Bedürfnis nach einer Lebenskunst wird in Zeiten, in denen sich traditionelle Lebenszusammenhänge rasant verändern zu einem begehrten Gut. Der Verfall der Stadt, des Adels usw. war schon bei den Griechen (5. Jahrhundert) der Hintergrund für die Beschäftigung des Selbst mit sich selbst.
Epiktet sah den Menschen als das einzige Wesen, das sich um sich selbst kümmern muss. Tiere brauchen das nicht, sie sind ganz eins mit sich. Der Mensch hingegen ist nie eins mit sich. Sloterdijk bestimmt der Menschen als ein Wesen, das konstitutiv in einer Vertikalspannung lebt. Er ist nie mit sich selbst identisch. Er ist immer ein mehr oder weniger, relativ zu seinen Möglichkeiten und relativ zu anderen. Die Spannung zwischen Sein und Sollen, zwischen seinen verschiedenen Teilen würde man heute im NLP sagen, ist unaufhebbar und verlangt nach einer lebenslangen Selbstbeobachtung (Seneka). Und es ist nie zu spät und nie zu früh damit zu beginnen sich um sich selbst zu kümmern (Epikur).
Ein Hauptmotiv dieser Selbstsorge war der Seelenfrieden. Dieser ist für den gewöhnlichen Menschen ständig durch unbeherrschbare äußere Einflüsse gefährdet. Da wir wenig Einfluss auf diese äußeren Einflüsse haben wird Epiktet zum ersten großen Reframer: Es sind nicht die Dinge die uns beunruhigen, sondern die Bedeutung, die wir ihnen beimessen. Epiktet stellte sich seine Schule als eine medizinische Institution vor in der die Krankheiten der Seele geheilt werden. Negative Emotionen und limitierenden Überzeugungen. Es gab Kurz-Zeit Therapie für Klienten und langjährige Ausbildungen und Techniken, die einem bei der Sorge um sich selbst helfen sollten. Nach seiner Lehre soll der Mensch strikt unterscheiden, welche Dinge und Geschehnisse von ihm selbst beeinflusst werden können und welche nicht. Dies erinnert an das Diktum von Bandler und Grinder wonach es im NLP unter anderem darum geht äußere Variablen in innere zu verwandeln.
Marcus Aurelius, ein Schüler Epiktets, formulierte das Ziel all dieser Bemühungen als eine Lebensform, in der die Rückwendung auf sich selbst zum zentralen Lebensinhalt wird. Es geht um vollständige Beherrschung seines Selbst, vollständige Unabhängigkeit von äußeren Umständen. Es geht darum sich von allen übernommenen Einstellungen zu befreien. Niemand ist allerdings stark genug um sich selbst zu befreien. Ein Meister oder Lehrer ist notwendig (Seneka).
Der geneigte Leser wird kaum umhin kommen hier eine unerwartete Traditionslinie zu erkennen, die uns heutige Selbstoptimierer mit den nach Perfektion strebenden Menschen der Antike verbindet.
Ihnen ging es um Perfektion in diesem Leben und nicht wie bei den späteren Christen um die Erlösung in einem Leben im Jenseits. Ziel war also eine Ästhetik der Existenz, die mit ihren Mitteln und Zielen ganz in der Endlichkeit dieser Existenz bleibt.
Die christliche Sorge um das Seelenheil knüpfte zwar an stoische Techniken an, aber mit einer ganz anderen Stoßrichtung. Viele der Stoischen Techniken finden sich später bei den Benediktiner Mönchen
wieder aber eben mit dem Ziel zu checken wie es um die Reinheit der Seele angesichts des jüngsten Gerichts steht. In der christlichen Tradition verlor die Sorge um sich Selbst ihren freiwilligen Charakter. Man muss jetzt beichten, man muss fasten usw. Und auch die Wahl des Meisters war nicht frei. Der örtliche Priester war dafür zuständig. (1215 A.D. wurde die Beichte obligatorisch) Und natürlich entschied der Priester über die entsprechenden Strafen.
Bei Gregor von Nizza finden wir die Abwendung vom Fleisch, die uns die Unsterblichkeit zurück bringen soll. Der Übergang von der griechischrömischen Kultur des Selbst zur christlichen spiegelt sich auch und nicht zu letzt im Übergang von der Beschäftigung mit dem angemessenen Gebrauch der Lüste zur Analyse des Begehrens als einem immer schon teuflischen.
Die griechisch gedachte Sorge für sich Selbst (epiméleia heautoú) wurde durch die christliche Tradition der Selbstaufopferung ersetzt. Thomas Akempis: Imitatio Christi. Es entsteht eine Faszination an der eigenen Leidensfähigkeit (Entselbstung).
Zur selben Zeit entwirft Pico della Mirandola (15 Jh.): Den Menschen als das Tier ohne Eigenschaften. Der Mensch muss sich seine Eigenschaften selbst schaffen. Als Plastes et fictor muss er die Verantwortung für sein Sein übernehmen. Diese autoplastische Selbstdefinition könnte gut und gerne der Titel eines modernen Selbsthilfe Buches oder der Titel für ein einwöchiges Seminar auf Hawaii sein: Werde, der Du schon immer sein wolltest. Wir sehen also, dass selbst die überspanntesten kalifornischen Konzepte des Selfbranding in einer alteuropäischen Tradition stehen.
Im 16. Jh. war es Michel de Montaigne, der mit seinen Essais nicht nur eine literarische Tradition begründete. Der Essay (Versuch) wurde für ihn eine experimentelle Lebensform, in der er versuchte “mit seiner eigenen Existenz zu experimentieren und sich selbst zu erproben.” Man kann in diesem Zusammenhang von einer essayistischen Existenz sprechen. Dies meint vor allem den Menschen offen zu halten für seine Möglichkeiten. Sind nicht auch wir gezwungen mit unserer eigenen Existenz zu experimentieren. Welche Beziehungsform passt zu uns, welcher Beruf? Wo will ich leben und arbeiten? Was will ich über mich selbst glauben? Wer will und könnte ich sein? “Warum bestehst Du darauf du selbst zu sein, wenn du die Möglichkeit hättest etwas wirklich Großartiges aus dir zu machen?” (Bandler)
Im Gegensatz zu den vormodernen Kulturen, in denen diese Fragen durch die Tradition immer schon beantwortet waren, müssen wir sie in einem Leben immer wieder neu beantworten. Moderne ist nur ein anderes Wort für eine Befreiung von solchen traditionellen Strukturen.
400 Jahre später wird Heidegger in “Sein und Zeit” den Entwurf als Erschließen der Möglichkeit des Seinkönnens, der Sorge als Inbegriff des Selbst, bestimmen. Und Sartre beschreibt in “das Sein und das Nichts” (1943) den Menschen als das Wesen, “das nicht dem Sein im Sinne des Gegebenen verpflichtet bleiben muss, sondern das Nichts als das gegenwärtig noch nicht Existierende in den Blick nehmen kann. Der Entwurf eines Andersseins kann jedes Individuum für sich selbst wagen, entscheidend ist seine Wahl.” Eine Wahl haben ist besser als keine zu haben und Möglichkeiten erschließen ist besser als aus einer gegebenen Auswahl auswählen zu müssen, schreiben zwei junge Amerikaner Anfang der 70er Jahre.
Vom 15. Jh. über die Essayistik Montaignes bis zur Romantik des 18.Jh. in der die Parole lanciert wurde, dass der Mensch ein Wesen ist, das über sich hinausgehen muss, gibt es eine Linie der Antropotechnik, die mit dem NLP eine neue Variante hervorgebracht hat. NLP versteht sich als eine Technik der Selbstoptimierung, die in der Tradition des 18. Jh. steht, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, dass alle Vertikaldifferenzen in Horizontaldifferenzen umformuliert werden können und sollen.
Jede Unterteilung der Menschen in konstitutionell höhere und niedere wird als eine gemachte, ausgedachte Differenz entlarvt. Seit den mesopotanischen Stadtstaaten gab es die Figur des Gottmenschen, des Gottkönigs. Auch in den asiatischen Kulturen gab es die Vorstellung des Avatar, auch eine Form des Gottmenschen. Und auch die Heiligen erscheinen uns heute eher als solche, die sich ungewöhnlichen Trainingsroutinen (Askese) unterzogen haben. Auch der Weise hat viel von seinem Nimbus verloren. Es macht heute keinen Sinn mehr von bloßen Menschen zu sprechen; es gibt nur noch bloße Menschen. Alle Menschen sind im Prinzip gleich, aber nicht als Gotteskinder, sondern Gleichheit vor dem Genom. Und diese können jetzt, z.B. dank NLP, von einer neuen Vorannahme ausgehend ihre Selbstoptimierung vorantreiben: Jeder kann alles lernen! If you can dream it you can do it. Wir sehen, die Überspanntheiten sind vom alten Europa in die USA geschwappt – und kommen jetzt als Reimport zu uns zurück.
Im Übergang vom 18. zum19 Jh. entsteht in der deutschen Romantik (Novalis) wiederum eine Idee von der Ästhetik der Existenz, aber doch mit einem ganz anderen Akzent als bei den Griechen: Der große Mensch ist der, dessen Biographie selbst das größte Kunstwerk ist. Das Leben wird hier nur als Material für das Leben benutzt.
Was als Kunstwerk soll bestehen, muss im Leben untergehen (Schiller, Die Götter Griechenlands).
Diese Untergangsphantasien scheinen uns Heutigen eher wenig verlockend. Wir wollen doch, wenn wir überhaupt an Traditionen anknüpfen wollen, eher an eine Ästhetik der Existenz anknüpfen. Wir wollen ein schönes und gelungenes Leben und wollen uns weder von der Religion, noch der Politik oder der Wissenschaft vorschreiben lassen, wie dieses aus zu sehen hätte. Wir erwarten von unseren Trainern eher Techniken, die uns mit der nötigen Neutralität in die Lage versetzen die Struktur unserer subjektiven Erfahrung zu verstehen und uns in die Lage versetzen diese zielorientiert zu verändern. Dabei haben wir nach 35 Jahren NLP gelernt, dass zwar die einzelne Intervention nur wenig Zeit beansprucht, dass wir uns aber in unserer Selbstsorge auf einen lebenslangen Prozess einstellen sollten.
NLP im Rahmen einer 2500 Jahre alten Traditionslinie der Sorge um sich selbst zu sehen verortet den NLP-Trainer neben Sokrates, Epiktet und Seneka und die Teilnehmer der Ausbildungskurse sehen sich in einer langen Reihe von Menschen, die begriffen haben, dass zur Welt kommen für einem Menschen noch nicht genug ist um ein Mensch im emphatischen Sinne zu werden.
Schon die alten Philosophen haben von ihren Schülern Geld genommen um ihnen beizubringen, wie sie sich am besten um sich selbst kümmern können; (Hermetimus) manche sind schon damals dabei verarmt, ohne dass ihre Fortschritte mit den angekündigten Zielen Schritt halten konnten. Und so ist auch der moderne Sucher auf der Suche nach dem richtigen Lehrer vor enttäuschenden Erfahrungen nicht gefeit.
Wie jede Kunst bedarf auch die Lebenskunst eines Materials und dieses Material ist das Leben selbst. Lebenskunst ist “eine fortwährende Arbeit der Gestaltung des Lebens und des Selbst.”
Kunst wird hier als ein Können in dreifacher Hinsicht verstanden:
- Erschließung von Möglichkeiten
- Ein Können im Sinne der Realisierung von Möglichkeiten (Knowhow)
- Können im Sinne der kunstvollen Realisierung von Möglichkeiten also “gekonnt” im eigentlichen Sinne.
Das Leben als Kunstwerk ist in diesem Sinne ein work in progres. Das Wesentlich dabei ist nicht eine Suche nach dem eigentlichen/wahren Selbst, wie dieses auch immer bestimmt sein mag, sondern der Akt des etwas aus sich zu machen’s.
Bei dieser Wahl ist aber immer zu bedenken, dass jede Wahl auch eine Zurückweisung einer anderen möglichen Wahl darstellt und dass die Ungewissheit darüber, ob diese nicht die bessere gewesen wäre, unauflöslich bleibt. Und keine noch so raffinierte Time Line Arbeit wird daran je etwas geändert haben. Und jeder dieser Wahlakte liegt ein Wert zugrunde, den wir dadurch realisieren wollen. Ob er aber durch die Wahl realisiert wird, wird sich immer erst nach der Wahl zeigen.
NLP kann mit seinen Möglichkeiten an diese drei Aspekte anknüpfen und kann in diesem Sinne als eine Technik der Lebenskunst verstanden werden. Und wenn mich die Rückmeldungen aus meinen Seminaren nicht ganz täuschen, dann ist es auch gerade dieser Aspekt, der NLP für so viele interessant macht.
Die Frage, die dann aber immer noch zur Beantwortung ansteht lautet: Was für eine Art von Lebenskunst meinen wir, eine Art Lifestyle, den man kaufen kann, eine Art postmodernes Existenzdesign , das die soziale Selbstinszenierung von Individuen meint, oder handelt es sich um eine ernsthafte Arbeit an sich selbst, die realisiert hat, dass es keine unendliche Daseinserleichterung gibt. Eine Arbeit die alle Register menschlicher Erfahrungsmöglichkeiten, von den tragischen bis zu den exstatischsten, von der Alltäglichkeit des Dahindümpelns bis zu den seltenen Momenten spiritueller Erleuchtung umfasst.