Im folgenden lesen Sie ein Interview mit Bert Hellinger zum Thema “Macht”. Die Fragen an Bert Hellinger stellten Klaus Grochowiak und Robert Stein-Holzheim.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Die erste Frage soll die nach der Kategorie der Macht sein. Die Kateforie der macht taucht ja in den bisherigen therapeutischen Ansätzen praktisch nirgendwo auf. Zumindest kenne ich keinen Ansatz in dem Macht eine Rolle spielt, auch in Deinen Texten nicht.
Bert Hellinger: Ich habe schon, in Ordnung der Liebe Macht erwähnt. Wenn ich da über Organisation was sage, dann nehme ich auch dazu Stellung.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ja, aber doch eher am Rande. Dadurch das jetzt die Aufstellungsmethode auf Organisationen ausgeweitet wird, wird aber Macht sofort zum zentralen Thema.
Bert Hellinger: Ja.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Und da wäre jetzt die Frage: Welche Rolle spielt in dem kategorialen Gerüst von Ordnung, Bindung, Ausgleich für Dich die Macht in Organisationen?
Bert Hellinger: Also das Erste ist, man muss sehen wie Macht überhaupt entsteht. Sie entsteht dort wo ein Gefälle ist zwischen einem Bedürfnis, auf der einen Seite und der Macht dieses Bedürfnis zu befriedigen oder der Kraft dieses zu befriedigen. Also wenn jemand ein Bedürfnis hat und der andere kann das befriedigen, dann hat er mit Bezug auf dieses Bedürfnis Macht. Und das ist eine wohltuende Macht. So entsteht Macht eigentlich. Also die Eltern sind natürlich in einer Machtposition gegenüber den Kindern, wie die Kinder bedürftig sind und solange sie bedürftig sind haben die Eltern Macht. Und diese Macht ist wohltuend. Und wenn diese Macht da ist, wenn jemand diese Macht hat, dann muss er sie auch einsetzen. Denn wenn er sie nicht einsetzt, dann macht er die, die bedürftig sind böse. Dann mit Recht. Und wenn Du jetzt an eine Organisation denkst, dann braucht diese zum Beispiel jemand der das aufbaut, überhaupt in Gang bringt und alle die jetzt in der Organisation sind, die brauchen einen der das organisiert. Das ist also der Chef. Und der Chef hat sozusagen Macht nicht weil er die sich anmaßt, sondern weil er ein Bedürfnis befriedigt, das die Anderen haben. Und er hat die Macht solange, wie das Bedürfnis besteht. Wenn ich z.B. zum Arzt gehe und ich brauche seine Hilfe, hat er Macht über mich. Und ich bin froh, dass er diese Macht ausübt. Sobald er mich behandelt hat, hat er keine Macht mehr. Dann bin ich ihm gegenüber wie Mensch zu Mensch. Vielleicht fragt er mich etwas über Familienstellen, er braucht dann mich in dem Augenblick, dann habe ich Macht. Aber nur solange, wie er das braucht. Also die gute Macht, sagen wir in einer Gruppe ist immer eine, die rotiert. Je nachdem was der Einzelne zu bieten hat. Z.B. hat ja auch in einem Unternehmen derjenige, der etwas Besonderes beiträgt, z. B. einer der die Entwicklung unter sich hat, eine sehr große Macht in dem Bereich. In dem Bereich ist z. B. der Chef von ihm abhängig und dann dient der Chef mit seiner Macht dem anderen damit er das was er kann auch machen kann. Das ist wohltuende Macht.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Genau, und wie Du mit dem Adjektiv wohltuend schon angedeutest gibt es auch eine andere. Also Dein Machtbegriff so wie Du ihn gerade entwickelt hast, basiert auf diesem Bedürfnisgefälle. Jetzt gibt es ja auch eine Macht, die dadurch entsteht, dass ich dem anderen androhen kann, dass er Nachteil erleidet, wenn er nicht das macht, was ich will. Also das könnte man usurpierende Macht nennen.
Bert Hellinger: Also ich will erst einmal Mal noch sagen, wenn jemand Macht hat und er besteht auf der Macht, ohne dass er die Leistung bringt, dann wird er autoritär. Es wird diese Macht als schlimm erfahren, als bedrohlich, und gegen diese Macht wehrt man sich dann. Und das allererste ist, ich glaube eine ganz große Gefahr ist, dass viele die Macht haben sich scheuen diese auch durchzusetzen. In manchen Betrieben will man sozusagen „demokratisch“ vorgehen, und dann wird z. B. über Dinge geredet und Entscheidungen werden herbeigeführt, bei denen alle beteiligt werden, obwohl sie gar nichts dazu beizutragen haben. Zum Beispiel habe ich ein Institut beraten und der Leiter hat sich geweigert seine Autorität durchzusetzen. Da saßen also 20 Leute da und alle hatten das gleiche Stimmrecht. Und ich habe dann gefragt: „Wer von Euch fühlt sich für das Ganze verantwortlich?“ Dann haben von den zwanzig fünf die Hand gehoben und da habe ich gesagt „Ihr seid die, die das hier verantworten, alle anderen haben hier nichts zu sagen, und ich rede nur mit denen, die auch wirklich bereit sind die Verantwortung zu übernehmen.“ Das ist das Eine. Es gibt also einige wichtige Dinge in einer Organisation, die müssen von oben bestimmt werden, und wenn die andere herein gezogen werden die eigentlich gar nichts damit zu tun haben, dann bekommen die eine Macht ohne das sie die dazugehörige Leistungen erbringen müssen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Und oft gar nicht können.
Bert Hellinger: Und auch gar nicht können.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ein Ergebnis der 68er Basisdemokratie.
Bert Hellinger: Ja, ganz genau. Also die führt ins Leere.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Genau, das wäre für mich sozusagen das Resultat der Tabuisierung der Macht, so als wenn Macht irgendwas unanständiges wäre.
Bert Hellinger: Genau, ganz genau.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Und das liegt eben daran, dass, wenn man in dieser Szene von Macht redet, vorwiegend usurpierende Macht im Sinn hat. Also meinetwegen Imperialismus, z.B. ein Land überfällt ein anderes, unterdrückt die, beutet die aus, zwingt die zu etwas. Oder ein Mann zwingt eine Frau zu etwas unter Androhung von Gewalt.
Bert Hellinger: Der Kapitalist die Arbeiter.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Oder der Kapitalist die Arbeiter oder was auch immer, dann ist das ja auch eine Form von Macht die eben gerade nicht auf der Seite des anderen ein Bedürfnis voraussetzt, sondern der hätte ja gerade das Bedürfnis „lass mich bloß zufrieden“ aber der andere sagt „ich lass dich nicht zufrieden und wenn du nicht still hältst dann gebrauche ich Gewalt“.
Bert Hellinger: Es ist doch so, dass zwischen gewissen gesellschaftlichen Gruppen z.B. Arbeitgeber/ Arbeitnehmer, bezüglich der Gewalt oder Macht, beide Macht haben und aufeinander angewiesen sind. Und dort wo sie aufeinander angewiesen sind, wird eben verhandelt. Jeder muss sich an der Macht des anderen korrigieren, bis sie zu einer Balance der Macht kommen. In einer guten Gruppen ist das so, und das geht dann auch mit allen möglichen Methoden, auch mit Tricks, mit Strategien wird das gemacht, das ist dann wie ein Krieg in gewisser Weise, wo man alle möglichen Methoden anwendet, damit diese Balance hergestellt wird. Das ist in diesen extremen Fällen der Fall.
Aber, sagen wir mal im Team, da ist es so, dass man Macht gewinnt durch seinen Beitrag. Wenn in einem Team jemand, nur weil er in dem Team ist, seine Macht ausübt um die anderen zu blockieren, dann wird das schlimm. Dem muss man die Macht nehmen. Ich habe auch ein Beispiel dafür. Ich habe mal in einer Klinik eine Beratung gemacht, da gab es fünf Chefärzte, die waren alle gleichberechtigt. Da konnte jeder den anderen blockieren. Das ist eine ganz schlimme Organisationsform. Und die haben zwar pro forma einen Leiter gehabt, aber der hat sich nicht getraut etwas durchzusetzen. Es hat der Klinik großen Schaden gebracht. Hier muss eine Organisationsform gefunden werden, so dass jemand wirklich die Macht hat die Blockaden zu brechen. Also es muss einer über denen stehen, so dass die anderen zwar ihren Beitrag leisten können zum Guten aber keiner kann seine Macht gebrauchen um andere zu blockieren. Das ist hier auch ein wichtiger Gesichtspunkt für eine gute Machtstruktur.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Okay, damit kommen wir zu der Frage: Gibt es so was wie eine gute Machtstruktur? Da wo Macht ein komplementäres Bedürfnis befriedigt ist für mich so etwas wie eine gute Machtstruktur möglich. Ich habe dies auch in Aufstellungen schon oft genug gesehen, also auch das was Du gerade beschreibst, kann ich aus meiner Erfahrung alles bestätigen. Bevor ich vielleicht später noch einmal auf das Problem der usurpierenden Macht zurückkomme und wie sich das in Aufstellung zeigt und wie man dann damit umgeht hätte ich dann vorher noch eine andere Frage und zwar würdest Du der These zustimmen, dass die Ordnung der Macht das zentrale Ordnungskriterium in Organisationen ist im Gegensatz zu dem Eintritt, also der Ordnung in der Zeit im Familiensystem.
Bert Hellinger: Ja, …… hier hat die Macht eine Funktion, da sie einem Ergebnis dient und sie ist solange gut, wie sie dem Ergebnis dient. Innerhalb dieser Machtstruktur, also in einer Organisation gilt auch die Rangfolge. Das ist ganz wichtig. Z. B. ein neuer Chef wird ernannt und der kommt als letzter in das Team. Damit hat er von der Rangordnung her den letzten Platz. Aber von der Funktion her hat er den ersten. Jetzt kann er das verbinden. Also wenn er das anerkennt das er den letzten Platz hat, dann wird er z. B. wenn er jetzt etwas einführt, dann wird er die anderen fragen. Indem er also auf dem letzten Platz bleibt bekommt er deren Zustimmung und deren Unterstützung.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ich nenne es immer Führung von hinten. Im Gegensatz zur Führung von vorne.
Bert Hellinger: Genau, das ist mit die beste Organisationsform überhaupt. Aber immer so, dass er in seiner Verantwortung bleibt. Er trifft dann die Entscheidung, die anderen werden mit eingebunden. Er kann sie nicht weggeben. Sonst wird das wieder gestört. Dann könnten z. B. irgendwelche von den anderen es blockieren, weil er dann zu nachgiebig ist. Er sieht was die anderen wollen und dann bestimmt er. Ich habe schönes Beispiele gesehen in Südafrika. Also wie ein Häuptling eine Entscheidung trifft. Er holt seine Berater, die reden untereinander und er hört nur zu. Und sobald sie dann, das dauert Stunden, und sobald sie eine Einigung getroffen haben, dann sagt er ja, so wird es gemacht. Und letztlich bringt er seine Autorität herein, aber erst nach dem alle gehört worden sind. Aber es wird keine Abstimmung gemacht. Nicht, das die jetzt Mehrheitsabstimmungen machen. Er entscheidet, aber jeder merkt, in dieser Entscheidung ist eben das alles eingegangen. Das sind gute Führungsstrukturen. In großen Konzernen kann etwas nur durchgeführt werden, wenn sagen wir mal Drohungen existieren, also wenn einer seine Leistung nicht bringt, dann hat er nicht das Recht in der Organisation zu bleiben. Er muss also die entsprechende Leistung bringen. Das ist schon eine Drohung und die Macht wird dann schon auch als einschränkend erlebt, aber diese Macht dient eben dieser Organisation als ganzes. Wenn die Macht nicht in dieser Weise ausgeübt würde, könnte die Organisation nicht bestehen. Also auch die harte Macht ist oft auch eine gute, eine wohltuende und eine notwendige Macht.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ja, und wie ist es wenn es jetzt gerade umgekehrt ist, dass sozusagen gerade von denen, die die höchste Macht haben praktisch die geringste Leistung oder sagen wir extrem kontraproduktive Leistung produziert werden. Z.B. führen sie den Konzern mit Milliarden ins Defizit und dafür, das sie gehen bekommen sie dann 40 Millionen Abfindung. Da frage ich mich, wie ist es mit dem Ausgleich von Geben und Nehmen zwischen dem System und diesem Manager. Also der hat dem System riesig geschadet und dafür, dass er ihn nicht noch weiter schadet, also vorzeitig aus dem Vertrag aussteigt, muss man ihm jetzt auch noch eine gigantische Abfindung bezahlen.
Bert Hellinger: Na gut, das sind technische Sachen, wie kann man etwas erreichen. Manchmal kann man etwas erreichen nur unter hohen Kosten. Und das muss man in Kauf nehmen. Hier kann es nicht nach idealen Vorstellungen gehen. Die Frage ist, ist es machbar und wie weit ist es machbar?
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Genau, das verstehe ich. Also natürlich wenn der Vertrag erst mal so ist, dann kriegt man den eben ohne diese Kosten nicht raus. Die Frage ist eben jetzt, wenn diese Praxis zur Industriekultur wird, entsteht da nicht unter systemischen Gesichtspunkten eine Großstörung? Verstehst Du was ich meine? Bei diesem Hintergrund frage ich mich: „Gehört die Vorstandsebene eigentlich noch zur Unternehmensführung oder fühlt die sich nicht dem System der anderen Vorstandsmitglieder anderer Unternehmen und ihrer eigenen Kaste systemisch zugehöriger als dem Unternehmen, für das sie eigentlich beauftragt sind, Verantwortung zu übernehmen?“
Bert Hellinger: Auch wenn ich kein Fachmann darin bin, möchte ich folgende Überlegung dazu einbringen: Ich halte es für besonders schlimm, wenn die Vorstände eines großen Unternehmens sich mehr den Shareholders verpflichtet fühlen als denen die eigentlich die Produktion bringen. Und das ist eine Verschiebung die hat ganz schlimme Folgen, denn die Mitarbeiter sind in dem Augenblick nicht mehr loyal. Sie können nicht mehr loyal sein weil ja auch der Vorstand ihnen gegenüber nicht loyal ist. Ihre Loyalität gilt den Shareholders mehr als denen die die Arbeit machen. Also hier gibt es eine Verzerrung. Und wenn es solche Verzerrungen gibt, wird sich nach einiger Zeit zeigen, dass es so nicht geht und dann wird sich das korrigieren. Aber da muss man oft abwarten bis das sozusagen vollen Schaden angerichtet hat.
Um noch einmal auf das Beispiel mit den Managern, die „ungerechtfertigt“ große Summen bekommen einzugehen: Es wird sich auf ihre Nachkommen ganz schlimm auswirken. Also das ist überhaupt nicht anders zu sehen. Sie gewinnen überhaupt nichts dadurch. Nur vordergründig. Ich gebe dazu einige Beispiele:
Vor kurzem hatte ich folgende Situation in einer Aufstellung in St. Paulo:
Da war also einer, der sollte ein Unternehmen erben und er war unfähig das zu nehmen, seine Seele war nicht fähig das zu nehmen. Es kam heraus, dass der Großvater oder Urgroßvater mehrere kleine Unternehmen besaß und er hat sie alle verkauft, geschlossen, und hat dann wieder neu angefangen und damit hat er große steuerliche Vorteile für sich erzielt, aber eine ganze Reihe der Mitarbeiter wurden dadurch entlassen. Also er hat das auf Kosten von Mitarbeitern gemacht. Diese Mitarbeiter sind jetzt in der Seele des Klienten präsent, d. h. sie sind im System präsent, sagen wir es mal so und aus dem Gefühl der Verpflichtung denen gegenüber kann er nicht das Unternehmen führen. Die müssen also erst in das System noch mal hereingebracht werden. Man muss sich vor denen verneigen und sagen es ist euch Unrecht geschehen und es tut uns leid. Und dann werden die freundlich. Und dann muss man ihnen noch sagen, das Unternehmen beschäftigt doch andere Leute, wir müssen es weiterführen, wir müssen das beste daraus machen damit mit den anderen nicht das passiert was euch widerfahren ist. Seid freundlich, wenn wir das jetzt gut führen. Dann ist die Seele bereit und auch fähig, das sie so was übernimmt.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Also hier könnte man ja sagen der Großvater hat sich in einem legalistischen Sinne und im Sinne der Profitmaximierung sicher nicht schuldhaft verhalten aber offensichtlich reagiert das System als wenn das eine Schuld wäre. Und damit kommen wir zu einem ganz wichtigen Punkt nämlich zur Frage von Schuld und Unschuld im System.
Bert Hellinger: Also die Seele reagiert anders als man das vom Verstand her begreift. Ich bringe mal ein kleines Beispiel: Ein Unternehmer, den ich gut kenne, bat mich um eine Aufstellung wegen seiner Selbstmordgedanken. Nach der Aufstellung ging es ihm besser nach einiger Zeit ging es ihm dann aber wieder schlechter. Dann fiel ihm plötzlich ein, er hat über der Grenze ein Haus gekauft und dazu hat er das Geld von einer Tante bekommen und das Geld hätte eigentlich ihrem Neffen gehört. Sie hat es aber ihm gegeben mit der Auflage, dass er denen dann über die Jahre etwas zurückzahlt. Und es war ganz klar, die sind ihm jetzt alle böse. Der Hintergrund für die Selbstmordgefährdung war diese Transaktion, obwohl sie legal richtig ist, seine Seele verträgt das nicht.
Einen anderen Fall, hatte ich gerade vor kurzem, auch er selbstmordgefährdet. Er konnte sich überhaupt nicht entscheiden, wusste nicht was er machen sollte. Ich habe mit ihm ganz ruhig gearbeitet, so dass es sich sammelt und am Ende fällt ihm ein, sein Vater ist alt und er hat ihn entmündigt auf gewisse Weise obwohl das nicht notwendig war, aber es war ein finanzieller Vorteil darin und aus dem kommt die Selbstmordgefährdung. Das sind also kleine Dinge, wenn man es genau betrachtet, verglichen mit dem was sonst in Unternehmen passiert und dennoch haben sie diese Wirkung. Und man kann sehen, dass in Familien, die auf Kosten von anderen reich geworden sind, solche schlimmen Schicksale sich häufen. Damit ein Unternehmen gut geführt werden kann, muss man diese Zusammenhänge ans Licht bringen, damit etwas aus der Vergangenheit in Ordnung gebracht wird und dann kann man mit Kraft nach vorne schauen. Das sind dann natürlich keine typischen Organisationsaufstellungen, doch sie sind die Voraussetzung damit eine Organisationsaufstellung, eine Neuorganisation oder eine Umstrukturierung der Organisation gelingen kann.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Das macht für mich auch aus meiner Erfahrung sehr viel Sinn, so dass man sagen kann, die systemische Organisationsberatung kann eine systemische Unternehmensführung unterstützen, gerade dadurch das solche Dynamiken ans Licht kommen und man dann handeln kann. Die hier angeführten Beispiele sind alle so gelagert, dass jeweils nur der Inhaber in der Lage ist das Problem zu lösen. Oft fragen natürlich auch andere Mitarbeiter eines Unternehmens nach einer Aufstellung nach. Z.B. für ihre Abteilung oder Filiale. Und hier stellt sich dann die Frage, wie siehst du das mit der Reichweite von Aufstellungen in Organisationen?
Bert Hellinger: Also normalerweise würde ich nur arbeiten, wenn der Chef mich handeln lässt. Es ist die Voraussetzung. Es kann sein das er sagt also ich mache nichts aber in dieser Abteilung möchte ich das etwas gemacht wird. Dann kann man das mit seiner Zustimmung machen. Man muss ihm entsprechend berichten, so dass er darüber völlig im Bilde ist, das seine Autorität auch gewahrt bleibt. Der Unternehmensberater darf niemals die Autorität untergraben sonst untergräbt er seine auch. Das ist ganz wichtig. Und er darf niemals als der Bessere auftreten, sowie ein Therapeut also auch nicht auftreten kann als der bessere Vater oder die bessere Mutter, so darf ein Unternehmensberater auch nicht auftreten als der bessere Organisator.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Wenn z.B. ein Abteilungsleiter kommt und sagt: „Ich habe hier ein Problem in meinem Unternehmen und ich glaube das liegt am Ganzen. Ich will das gerne abstellen!“
Bert Hellinger: Dann würde ich sofort aufstehen. Dann würde ich sagen, wenn der Chef das will, dann ja. Aber wenn man nur für seine Abteilung was will, dann kann man das machen. Dann wäre er ja der Chef der Abteilung.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ich möchte hier noch ein Beispiel geben: Ich habe vor kurzem in einem großen Konzern eine Aufstellung für eine Abteilung gemacht (im Auftrag des Abteilungsleiters). Es zeigte sich, dass der Leiter der Abteilung seine Mitarbeiter gar nicht sieht. Daraufhin habe ich jemanden hinter ihm gestellt, nämlich den Chef des Chefs und da sagte der, das ist das Einzigste was mich interessiert. Dann habe ich den umgedreht und er zitterte vor Angst.
Bert Hellinger: Ja genau, genau.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Dann habe ich hinter seinen Chef jemanden gestellt, der drehte sich um und zitterte vor Angst. Und das ging bis zum Vorstandsvorsitzenden. Es gab also eine Tendenz, die sich von ganz oben durchzog: wenn man sein Vorgesetzten anguckt zittert man und wenn man zu seinen Mitarbeitern guckt sieht man sie nicht.
Bert Hellinger: Weil man nur auf den anderen schaut.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Genau, und jetzt war die Frage: Was ist hier eine gute Lösung? Es ging ja für meinen Auftraggeber darum, dass er seine Mitarbeiter sieht. Meine erste Frage war: „Was ermöglicht es ihm in diese Angsthypnose hinein zu kommen?“ Und es stellte sich heraus, dass er eine Doppelbelichtung auf seinen Chef mit seinem Vater hatte. Nachdem diese aufgelöst war hatte sich am Verhalten seines Chef natürlich nichts geändert. Er konnte dem Druck und den Drohungen jetzt als Erwachsener ins Auge gucken und sagen: „Okay, wenn Du mir drohst, dann muss ich zur Not gehen. Aber meine Aufgabe ist bei meinen Mitarbeitern und da gucke ich selbst hin.“ Und das konnte er auch gut machen. Er teilte mir später mit, dass vier Wochen lang Tumult in seiner Abteilung war; und seitdem läuft es besser als je zuvor. Selbst wenn er nicht da ist, was oft passiert, weil er weltweit unterwegs ist, es türmt sich nichts auf seinem Schreibtisch, wenn er wieder zurück kommt. Die Leute schmeißen den Laden auch ohne ihn sehr gut. Und sie haben den Eindruck jetzt werden wir zum ersten Mal wirklich gesehen.
Bert Hellinger: Das ist ganz wichtig. Z.B. im Rahmen der Schule. Wenn der Lehrer auf den Direktor schaut, sieht er die Kinder nicht. Und wenn er sagt: „Ich schaue jetzt nur auf die Kinder!“ Dann kann er gut Unterricht geben. Und dann kommt er aber auch mit dem Direktor später auch ins Reine, weil sein Laden ja läuft.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: In meinem Beispiel hat sich nun allerdings gezeigt, was keinen wirklich überrascht hat, dass es im Unternehmen einen Führungsstil der Angst gibt, der dazu führt, dass die Mitarbeiter nicht wirklich gesehen werden. Wie verhält es sich hier Deiner Meinung nach mit der Unterminierung der Autorität?
Bert Hellinger: Also, was ich jetzt machen würde in dieser Situation. Ich würde den Abteilungsleiter und sagen wir seine ganze Mannschaft, alle die aufgestellt wurden, vor den Hauptchef stellen und sie sich vor ihm verneigen lassen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Und wofür ist das gut?
Bert Hellinger: Weil er ihnen ermöglicht, dass sie arbeiten können, sie anerkennen seinen Beitrag zum Ganzen. Was immer sein Führungsstil ist, in dem Augenblick, das wirkt ohne das was gesagt wird auf den Chef zurück und er kann sich ändern. Sobald die aber jetzt sagen: ja ja der hat zwar einen schlechten Führungsstil oder so, dann schauen sie nicht auf ihn auf, sie sehen ihn nicht und was er für das Ganze leistet.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Hm.
Bert Hellinger: Hat’s Dir die Sprache verschlagen?
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ja, hat es, ja hat es. Ist ja vielleicht ein gutes Zeichen.
Bert Hellinger: Also der Unternehmensberater, der muss den Chef immer im Herzen haben, wer immer der ist. Dann hat er eine gute Ausgangsbasis.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Wie ist es z. B. mit den Familien, mit denen Du in Amerika gearbeitet hast, von diesen Milliardärsfamilien, die ihr Vermögen auf Kosten der Schienenarbeiter gemacht haben, die ja unter unmenschlichen Bedingungen gearbeitet haben. Also ich hätte große Probleme diesen Mann im Herzen zu haben und noch größere Probleme die Arbeiter, die der bis aufs Blut ausbeutet dazu zu bringen sich vor dem zu verneigen.
Bert Hellinger: Das ist jetzt eine andere Situation. Man muss ganz klar unterscheiden. Ich habe mit einem Nachkommen gearbeitet und nur für ihn. Nicht mit dem Unternehmen. Und in dieser Aufstellung wurde dieser Urgroßvater der Verantwortlichen wurde zu den Toten gelegt. Und da wurde der ruhiger, es war eine reine Familienaufstellung. Wenn Du aber jetzt eine Organisationsaufstellung machst, und wenn der noch sozusagen im Amt ist, dann muss er die Achtung bekommen. Genauso wie ich für alle Eltern immer Achtung habe, wer immer sie sind. Nur so kann ich eine Familienaufstellung machen. Sonst kommt du in ein perverses Dreieck. Das perverse Dreieck ist z.B. in der Schule, wenn sich der Lehrer mit den Schülern gegen den Chef verbündet. Und umgekehrt, wenn sich ein Schüler mit dem Chef gegen den Lehrer verbündet. Das ist ein perverses Dreieck. Es geht immer schief. Und da ist die Gefahr auch bei der Unternehmensberatung, dass man sozusagen ein perverses Dreieck eingeht. Das Du Dich z.B. mit unteren Abteilungen verbündest gegen die oberen. Das gibt Spannungen. Du darfst Dich auch nicht mit den oberen gegen die unteren verbünden. Du musst außerhalb von beiden sein und Du musst Beide achten. Dann erst kannst Du gut beraten.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Beide Seiten achten ist für mich eine Sache und eine zweite Sache ist jetzt die „Opfer“ aufzufordern, sich vor dem Chef zu verneigen. Ich denke hier z.B. an Fälle, in denen ein Konzernchef den Konzern für den er arbeitet für seine persönliche Bereicherung gegen einen zweistelligen Millionenbetrag an einen anderen Konzern verkauft. Mit der Folge von vielen Entlassungen.
Bert Hellinger: Nein, der ist ja nicht mehr Chef. Das ist der Unterschied.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Na, nehmen wir nun mal an, der wäre jetzt nicht rausgeflogen, hätte dafür, dass er zugestimmt hat, diese Millionen bekommen und wäre gleichzeitig im neuen Konzern Mitglied des Aufsichtsrates geworden.
Bert Hellinger: Okay, da will ich jetzt nicht darauf eingehen, weil das hypothetisch ist. Die Frage ist, ob so einer sich überhaupt halten kann. Es kommt immer darauf an, dass man die oberste Leitung oder den Besitzer achtet. Er ermöglicht allen anderen, dass sie arbeiten können. Insofern hat er also einen großen Einfluss auf alle. Den Einfluss kann er umso besser leisten, wenn die anderen ihn achten.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Also mit dem ermöglichen habe ich noch meine Schwierigkeiten. Wenn ich eine Firma gegründet habe ermögliche ich es natürlich Leuten darin zu arbeiten. Ob man dies von Topmanager genau so gut sagen kann scheint mir zweifelhaft. Namentlich wenn man berücksichtigt, dass diese Leute, wie sich in vielen Selbstzeugnissen zeigt, ca. 70% ihrer Arbeitszeit mit Machterhalt und Machterwerb beschäftigt sind und nur 30% wirklich für die Leitungsarbeit aufbringen. Man könnte sonst auch sagen die Shareholder ermöglichen es den Leuten zu arbeiten, weil sie ja die Eigner des Unternehmens sind. Also die Frage ist, ist hier so eine Formulierung wie „der ermöglicht es den Leuten zu arbeiten“ einfach sachlich angemessen.
Bert Hellinger: Bei so einer Situation ist es z. B. hilfreich, wenn man es aufstellt. Wenn man z. B. aufstellt den Besitzer, den Vorstand, die Shareholders, die das Kapital geben und die Arbeitnehmer. Und dann sieht man aus dem Verhältnis, wo ist etwas in Unordnung, wo kann etwas in Ordnung gebracht werden. Und wenn man z.B. die Shareholders vor die Arbeitnehmer stellt, dass sie nicht einfach nur den Vorstand anblicken, dann verändert sich etwas in denen und sie setzen ihr Kapital anders ein als vorher. Also hier gibt es auch Möglichkeiten Lösungen zu finden, aber man muss es dann an Ort und Stelle ausprobieren. Auf einer hypothetischen Ebene kann man das nicht genau sagen. Da gibt es zu große Unterschiede.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ich möchte jetzt zu einer neuen Frage übergehen. Die Frage nach der Systemseele. Bei Familien hast Du ja gesagt man erkennt die Größe der Seele an der Weite ihrer Wirkung. Und wie weit die auch immer ist, es sind maximal vielleicht 20, 30 Personen, aber bei Unternehmen ist klar, es handelt sich hier um tausende und zehntausende von Leuten. Also muss man irgendwie aggregieren beim aufstellen und die Frage ist, hast die Erfahrungen bzw. Überlegung bezüglich der Grenzen der Aggregierbarkeit? Du hast ja eben von den Arbeitern, den Shareholdern, dem Vorstand usw., gesprochen, dies sind ja schon hohe Aggregationen.
Bert Hellinger: Also, die Vorstellung einer Systemseele habe ich hier nicht. Ich würde mich nicht trauen von einer Systemseele zu sprechen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Bei Organisation? Okay, das ist ja eine sehr wichtige Aussage. Warum nicht?
Bert Hellinger: Es ist so, dass sie nicht alle von einem gemeinsamen Gewissen gesteuert werden. Und das ist der Unterschied. In einer Familie werden alle von einem gemeinsamen Gewissen gesteuert, das zum Teil unbewusst ist. Es gibt aber Analogien. Z. B. der Unternehmer, der in einer Region, vielen Leuten Arbeit gibt, ist ja eigentlich ein Übervater. Die Loyalität, die ihm entgegenkommt, ist die von Kindern zu einem Vater. In gewisser Weise analog natürlich nur. Und insofern lieben die den auch und achten den und der sorgt, so wenn der dieses Bild auch verinnerlicht hat, dass er eigentlich einer ist der vielen Brot gibt, dann ist er vorsichtiger in dem was er macht. Auch vorsichtiger mit Entlassungen und so. Und der kann aus seiner Sicht, aus seiner Haltung das auch den Shareholders vermitteln, dass er für die sorgt. Das er sozusagen deren Zustimmung auch bekommt, für diese Fürsorge. Dann entsteht ein anderes Modell. Inwieweit das jetzt durchgeführt werden kann weiß ich nicht, jedenfalls auf Dauer kann dieses System wie es jetzt ist, ohne dass die eigentlichen, für die das da ist, das Ganze, für die Arbeitnehmer im Grunde, für deren Familien, die kann man nicht auf Dauer ausklammern. Und wenn man in Unternehmensberatungen dieses Bild vermittelt, glaube ich kann man viel Gutes geben.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Dieser Punkt den Du eben erwähnt hast, wäre quasi der Balancepunkt dazu, dem Chef oder der Leitung einen Ehrenplatz zu geben. Die Shareholders sind ja weltweit operierende Kapitalanlageunternehmen, die natürlich die Arbeiter von den verschiedenen Unternehmen, von denen die Anteile halten, nicht im Blick haben.
Bert Hellinger: Genau, genau.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: So dass jetzt der Unternehmensberater, der Organisationsaufstellungen macht, so eine Art intrikaten innerlichen Balanceakt bewerkstelligen muss, nämlich die Solidarität mit den Arbeitern und die Achtung vor dem Chef und den Shareholdern, die im Regelfall oder sehr häufig, gerade die Arbeiter nicht im Blick haben.
Bert Hellinger: Ja, also das wäre eine Vermenschlichung, eine Humanisierung. Eine Organisation wo das gelingt. Man darf sich jetzt nicht zu große Ziele setzen, sozusagen das ganze System sozusagen zu verändern, aber in engen Grenzen kann man sicherlich etwas Gutes tun.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Du gehst also nicht von einer Systemseele aus, weil es eben kein gemeinsames Gewissen gibt; ich merke wie das in mir etwas zum Sacken bringt, also das entspricht absolut meiner bisherigen Wahrnehmung und zwar genau weil Du sagst es gibt dort kein gemeinsames Gewissen.
Bert Hellinger: Die Gewissenlosigkeit der Wirtschaft.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Hast Du noch spezielle Überlegungen zum Verhältnis von Macht und Liebe. Das Beispiel mit den Arbeitern die da aufgrund der Schließung der vielen Firmen arbeitslos geworden sind und der Nachkomme der die Firma nicht nehmen konnte, weil er mit dem Leid dieser Arbeiter verbunden ist? Ist das nicht ein Ausdruck von Liebe?
Bert Hellinger: Ja, das ist alles unbewusst. Es ist im Grunde einfach die Gegenwart der Ausgeschlossenen. Und es hilft den Unternehmen wenn man die Ausgeschlossenen herein nimmt. Also auch manchmal wenn Leute ungerecht entlassen werden, dann ist es hilfreich wenn man sie noch mal hereinstellt und die Erfahrung ist, es ist nicht notwendig das man sie wieder einstellt. Man muss sie aber achten. Und dann können die gehen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Die Beispiele, die wir gerade besprochen haben werfen für mich die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Wahrheit des Systems und den Interessen der Auftraggeber auf. Durch die Aufstellung kommt ja häufig etwas ans Licht. Z.B. wir haben in der Vergangenheit Leute ungerechtfertigt entlassen, wir haben Vermögen angehäuft auf eine Art und Weise, die nicht korrekt war und das wirkt heute noch rein, dass ist nicht unbedingt das, was die Auftraggeber hören wollen. Ich arbeite daher nach folgender Maxime, die die Auftraggeber allerdings von vornherein kennen: Ich stelle auf und das was sich zeigt, zeigt sich, und manchmal ist das schmerzlich was sich dort zeigt. Und wenn sie trotzdem wollen das ich aufstelle, dann mache ich das, aber ohne Zensur ihrerseits. Nur auf dieser Basis kann es eine gute Lösung für alle geben. Sie können dann mit der Aufstellung machen was sie wollen, aber ich werde mich nur der Wahrheit des Systems verpflichtet fühlen und keiner Perspektivität. Also weder der, der Gewerkschaften noch meines Auftraggebers noch von irgend jemand.
Bert Hellinger: Es ist hier auch wichtig, dass man zur Lösung kommt. Die Lösung ist nicht, dass der Konzern sich auflöst. Das wäre natürlich, eine ganz schlimme Lösung für alle Beteiligten, sondern dass man im Andenken an das Unrecht das geschah etwas Gutes tut. Was es dann immer ist. Das hat dann eine versöhnende Wirkung. Das Gleiche ist, wenn z. B. Arbeiter entlassen werden müssen. Dann kann man sagen: der Betrieb kann nur überleben, wenn wir die Belegschaft verkleinern. Wir müssen also einige entlassen. Und diejenigen, die entlassen werden, die leisten einen Beitrag für die Weiterführung des Unternehmen. Ihr Leid kommt den anderen zugute. Deswegen müssen auch die, die bleiben das achten, dass sie sozusagen auf Kosten der anderen bleiben dürfen und müssen die achten. Dann ist das für die leichter zu ertragen. Also Würdigung ist überhaupt so ein Schlüsselwort für gute Lösungen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Deine Arbeit unterscheidet sich, jedenfalls in meiner Wahrnehmung, von einem Großteil dessen was heute psychotherapeutisch gemacht wird dadurch, dass man sagen kann, Du stehst nicht in der Tradition des Mythos der unendlichen Lebenserleichterung. Kann man das so sagen.
Bert Hellinger: Ja, ist gut formuliert.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Deine Arbeit ist ja in einem ganz strengem Sinne nicht unbedingt auf Heilung angelegt, im Sinne von dass das Symptom weggeht oder dass es dem Klienten besser geht. Sondern es geht Dir darum die Wahrheit des Systems ans Licht zu bringen und das bedeutet manchmal auch, dass der Weg in den Tod nicht mehr aufzuhalten ist und dann stimmst Du auch dem zu. In diesem Sinne bist Du ja meilenweit von dem Versprechen entfernt, wie das z.B. im NLP im Vordergrund steht, schnell, sicher, effizient Störungen zu beseitigen, damit das Leben leichter, erfolgreicher, gesünder gelebt werden kann.
Bert Hellinger: Das Leben hat nun mal oft seine Tiefen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Meine Kritik am Lebenserleichterungs-Mythos ist das er a) nicht funktioniert, also trotz Kühlschränke und High-Tech-Medizin kann man sagen, ist die grundsätzliche existenzielle Leiderfahrung von Tod, Krankheit, Verlust, Verstrickung nicht wirklich geringer geworden. Und man kann sagen diese Aufstellungsarbeit, jedenfalls in meinem Verständnis, ist die erste Psychotherapie, die ich kenne, die aus diesen Lebenserleichterungs-Mythos ausgestiegen ist.
Bert Hellinger: Übrigens, ich habe da kürzlich eine Statistik gelesen, die untersucht verschiedene Völker nach deren Glückserfahrungen, so wie sie mit dem Leben zufrieden sind. Also die höchste Glückserfahrung, allgemeine Zufriedenheit und so, mit dem Leben, Zustimmung zum Leben, findet man in Bangladesch.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ja, habe ich auch gelesen.
Bert Hellinger: Hast Du auch gelesen. Interessant.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ja, und das ist genau was ich meine, also der Lebenserleichterungs-Mythos der Neuzeit auch der ganzen sozialistischen Bewegung ist empirisch widerlegt. Jetzt könnte man sagen: okay, wenn dich jetzt eine Organisation bittet eine Aufstellung zu leiten, dann ist ja ihr Interesse analog zu jemand der jetzt vielleicht krank ist oder Probleme in seiner Liebesbeziehung hat, sein Interesse ist natürlich auf alle Fälle erst mal gesund zu werden, das Problem zu lösen usw. Du sagst, ja das verstehe ich, aber ich arbeite nicht so, dass ich fokusiert bin auf dein Problem und gucke wie kriege ich das weg?
Bert Hellinger: Also bei Organisationen bin ich schon so fokussiert. Ich bin also fokussiert auf: wie können die gut miteinander umgehen? Das ist schon mein Fokus.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Würdest Du sagen, das ist was anderes als beim Familienstellen?
Bert Hellinger: Beim Familienstellen geht es auch darum, dass man eine Ordnung schafft, das sie gut miteinander umgehen können. Aber im persönlichen kommt jeder an Grenzen. Auch eine Firma kommt an gewisse Grenzen, z. B. droht ein Bankrott. Das kann man auch aufstellen. Die Grenze besteht hier darin, dass man nicht davon ausgehen kann, dass man jedes Unternehmen retten kann. Also das wäre hier die Analogie. Aber sonst schon. Also das ist ein Auftrag, dass ich helfe etwas effizienter zu machen und zwar zur Zufriedenheit aller Beteiligten. Ich würde das schon als klaren Auftrag annehmen und in dieser Richtung arbeiten wollen. Aber wenn was dazwischen kommt, manchmal zeigt sich das man nichts ändern kann, dann stimmt man dem zu und macht aus der Situation das Beste.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Du sagtest vorhin, dass die Arbeiter und natürlich die, für die Produkte produziert werden im Blick sein müssen. An anderer Stelle sagtest Du mal: „Wenn es nur um Geld geht, also die Qualität dessen was man macht, völlig aus dem Blick kommt, dann geht das nicht gut.“ Von hier aus wäre die Frage: Wenn Du engagiert wirst unter dem Gesichtspunkt, wir wollen unseren Profit erhöhen und wenn es den Leuten dabei noch gut geht ist es auch nicht schlecht, aber das ist eigentlich nicht das, was wir von Dir wissen wollen, dann ist ja die Frage: unter welcher Perspektive arbeite ich hier?
Bert Hellinger: Also der Profit ist ja etwas was das Unternehmen braucht.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Absolut, sonst geht es pleite.
Bert Hellinger: Ja, und insofern ist das Profitstreben in dem Sinn auch ein gutes Streben. Muss aber jetzt im Rahmen sein. Im Rahmen muss auch sein, der Profit muss aus einer Arbeit kommen, die Sinn macht. Es gibt z. B. Artikel die werden hergestellt und sind dann völlig nutzlos. In so einer Firma können die Arbeiter sich eigentlich nicht gut fühlen, wenn sie sinnlose Sachen machen müssen. Aber wenn das Produkt eines ist, was nützlich ist, was der Allgemeinheit dient, das gibt eine andere Zufriedenheit.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Das heißt, wenn Dich so eine Firma bitten würde eine Aufstellung zu machen und Du würdest z. B. in der Aufstellung merken, wenn Du vielleicht noch die Kunden dazu stellst, dieses Produkt ist so überflüssig wie ein Kropf.
Bert Hellinger: Ja, das würde ich genauso sagen.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Du würdest also sagen: „Dass hier große Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern herrscht wundert mich nicht. Sie produzieren etwas womit sich niemand sinnvollerweise identifizieren kann und wenn sie das nicht ändern, dann wird ihr Bedürfnis, eine motivierte engagierte Mitarbeiterschaft zu haben, wahrscheinlich ein Traum bleiben.“
Bert Hellinger: Ja, genau.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Genau, würde ich genauso machen. Ich habe noch eine Frage zum großen Ja, zur Zustimmung zu Krankheit und Tod. Eben sagtest Du, es gibt natürlich auch Grenzen für ein Unternehmens (Bankrott). Gibt es in Deiner Erfahrung zu dieser großen Zustimmung zum Leben so wie es ist eine Analogie in der Unternehmens- oder Organisationsberatung?
Bert Hellinger: Im Sinne von: wir machen besser den Schirm zu? Ja, ich meine es kommt darauf an was man jetzt aus dem Bankrott macht. Viele Unternehmen versuchen ja dann noch etwas aufzubauen für die Arbeiter, dass es etwas weitergeht und so. Also man macht nicht einfach zu, sondern sucht das Bestmögliche aus der Situation noch zu machen. Und das ist eigentlich das worauf es ankommt. Unter Mitarbeit der Arbeitnehmer natürlich.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Würdest Du der Maxime die Wahrheit eilt immer zustimmen?
Bert Hellinger: Ich habe keine festen Grundsätze wie Du weißt. Aber oft ist es so. Aber ich z. B. überlege mir schon ob ich jetzt was sage oder nicht. Also ich sage es nur, wenn es eine Chance hat anzukommen. Wenn ich sehe, dass da keine Bereitschaft ist sage ich es auch nicht. Dann behalte ich das für mich.
K&R: Ich meine nun beim Aufstellen selbst. So wie ich Deine Arbeit bisher gesehen habe ist es so, dass ich nicht gesehen habe, dass Du irgendwann etwas nicht aufstellst, weil Du denkst, wenn ich das jetzt auch noch aufstelle: das ist zuviel, oder das kann ich dem nicht zumuten.
Bert Hellinger: Ja manchmal bin ich da auch vorsichtig, wenn ich sehe das die Seele des anderen nicht dazu bereit ist, dann stoppe ich an einem gewissen Punkt und warte bis sich was bei ihm entwickelt. Also ich bin auch hier sozusagen klug in dem Sinn, dass ich nicht weitergehe als ich sehe, dass es möglich ist. Ich behalte also manchmal auch einiges für mich, was ich nicht sage.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Verstehe, und das würde analog natürlich, vermute ich, auch für Organisationsaufstellungen gelten.
Bert Hellinger: Wenn Du z.B. unter Fundamentalisten bist, dann kannst Du bestimmte Dinge nicht sagen. Du sagst es einfach nicht. Und auch manche Organisationen sind noch in der fundamentalistischen Ideologie verhangen. Dann sage ich das nicht.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Verstehe. Eine letzte Frage habe ich noch, und zwar: Bei den meisten Aufstellungen die ich bisher gemacht habe war es so, dass zu mindestens bei den zentralen Akteuren eine Person für eine Person stand und es gab dann zwar auch Aggregationen wie die Mitarbeiter und die Kunden, aber das war eher in der Peripherie. Verstehst Du was ich meine?
Bert Hellinger: Ja.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Bei der Aufstellungsform die Du vorgeschlagen hast, die Shareholder, der Vorstand, die Mitarbeiter, vielleicht auch noch die Kunden, gibt es nur aggregierte Stellvertreter. Könnte man sagen, dass man so die große Dynamik eines Unternehmens in den Blick bekommen kann? Ich habe einmal für einen multinationalen Konzern den Weltmarkt aufgestellt, also die Mitbewerber auf dem Weltmarkt, die Kunden auf dem Weltmarkt, also da gab es auch keine Einzelpersonen – also das ging einigermaßen aber es hat für mich nicht die Kraft entwickelt, wie das normalerweise eine Aufstellung tut.
Bert Hellinger: Vor allem war das Thema zu groß.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Es war einfach zu groß.
Bert Hellinger: Das Thema Weltmarkt ist zu groß. Aber wenn Du bei einem konkreten Unternehmen bist, dann kann man diese Aggregate sehr gut aufstellen. Man stellt auch manchmal Länder auf. Und das geht auch. Das verkörpert sich dann mit sehr großer Kraft. Aber es darf nicht mehr sein als für die Lösung notwendig ist. Also sobald man experimentiert sozusagen ach, probieren wir doch mal, dann ist man nicht kompakt.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Ja es hatte wenig Kraft.
Bert Hellinger: Nein, das kann es auch nicht haben.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Es gibt, wenn ich Dich richtig verstehe für Dich keine prinzipiellen Grenzen für die Aggregation. Man kann ja auch ein ganzes Land aufstellen kann, wie Du es ja oft bei Kindern machst, die türkische-deutsche Eltern haben – Türkei, Deutschland – was ja ein riesiges Aggregat ist, aber etwas, was für diesen Klienten genau in dieser Spannung Deutschland – Türkei sehr sehr wichtig ist.
Bert Hellinger: Genau, genau. Ich bringe Dir mal ein Beispiel. Also in Amerika haben wir eine Aufstellung gemacht, da war einer dessen Großvater hat einen Schwarzen umgebracht. Im Süden, rassistisch. Und dann haben wir die Beiden aufgestellt. Also diesen Ermordeten. Und der Großvater hat so was von Hochmut gezeigt, also sowas Kaltes und so. Na gut, und dann habe ich noch einige andere Sklaven aufgestellt. Und dann habe ich Afrika aufgestellt. Und dann ist dieser Farmer, also dieser Großvater, dieser Mörder, der hat sich dann zurückgezogen und auf einmal ist er auf den Boden und hat unglaublichen Schmerz gehabt. Dann ist er zu dem Ermordetem hin, hat sich neben ihn gelegt und die Sklaven in Afrika sind um den gegangen und haben den berührt mit Mitgefühl. Und dann habe ich einen aufgestellt für die USA. Und der Vertreter von der USA ist ganz langsam dorthin gegangen, hat sich dann hingekniet, sich verneigt und ist in dieser Verneigung vor den Sklaven und vor Afrika verblieben. Also hier ging es wunderbar, weil es ganz aktuell war.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Das sind zwei Beispiele wo ein Land und ein ganz konkretes Einzelschicksal aufeinander bezogen sind. Das habe ich auch in Holland häufig gesehen mit Indonesien.
Bert Hellinger: Und da hat es Kraft. Wenn man von etwas Individuellen ausgeht und dann das was noch notwendig ist mit hereinbringt, aber nicht so einfach Länder aufstellt.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Okay, also Bert, herzlichen Dank für dieses Interview, war uns ein großes Vergnügen.
Bert Hellinger: War einmal eine praktische Zusammenarbeit zwischen uns. Ja, okay. Euch beiden alles Gute.
K.Grochowiak & R.Stein-Holzheim: Danke.
Bert Hellinger: Danke schön.